Schönheit und Neid

Wenn Sie die Augen schließen und sich „Schönheit“ vorstellen, können Sie an sich eine angenehme Wirkung verspüren: Auf seltsame Weise werden Sie sich entspannen, sogar etwas emporgehoben fühlen. Es ist, als ob Sie ein Lächeln umgreift.

 Wenn sich aber gerade ein junges Mädchen bei der RTL-Sendung „Deutschland sucht den Superstar“, um den ersten Platz bewirbt, wird bei dem Gedanken an Schönheit Stress aufkommen. Vom Wahren, Guten, Schönen bleibt nichts. Es geht nur um das sprichwörtliche „Spieglein, Spieglein an der Wand“ … – vor allen Dingen aber geht es um Vergleich und Konkurrenz.

 Als das Thema „Schönheit“ für unsere Tagung vorgeschlagen wurde, lag die Assoziation zum „Neid“ nahe. Eigentlich müsste man ihren Gegensatz, die „Hässlichkeit“, dazu näher betrachten. Wenn man aber die Auswirkungen des Neides untersucht, so kommt man an seiner hässlichen Fratze kaum vorbei.

 Neid ist ein archetypisches Gefühl. Es betrifft uns alle, auch wenn wir überzeugt sind, dass immer nur „die Anderen“ neidisch sind. Neidisch kann man auf fast alles sein. Es gibt sogar Neidpersönlichkeiten.

 Psychologisch lässt sich Neid in dreifacher Weise beschreiben: Als (manchmal durchaus leidenschaftliches) Gefühl, als Handlungsmotiv und als Persönlichkeitseigenschaft.

„Das hauptsächliche Bestimmungsmerkmal des Neides ist seine Feindseligkeit.“ (1)

Immanuel Kant unterscheidet „qualifizierten Neid, wenn er zur Tat ausschlägt“ von der Missgunst, mit der mehr der alltägliche Neid gemeint ist. (2)

 Unsere sozialen Normen verlangen, dass wir auf feindseligen Neid verzichten, und fairerweise eine Leistung und den damit verbundenen Erfolg anerkennen. „Neidlos“ sollen wir bewundern. Wer auf den Vorzug eines anderen neidlos reagieren kann, erkennt – wenn auch möglicherweise mit Bedauern – dass er oder sie zu viel von sich erwartet hat. Im Idealfall passt er das Bild, das er von sich hat, an die Realität an, ohne die Liebe zu sich selbst zu verlieren. Wer hingegen deprimiert reagiert, lässt in seinem Anspruch nicht locker. Dadurch fühlt er sich einerseits gebunden und dadurch gelähmt, andererseits hält er aber an den sozialen Normen fest. Diese Haltung könnte in Selbsthass münden.

 Ehrgeizig-stimulierender Neid spornt an. Man wetteifert und versucht – vielleicht auf einem anderen Gebiet – selbst Höchstleistungen zu erreichen.

 Empört-rechtender Neid liegt vor, wenn der Neider glaubt, das begehrte Gut sei zu unrecht erworben. Dann wird zumindest abgewertet, wie z.B.:  „… die verdankt ihr gutes Aussehen doch nur dem  plastischen Chirurgen…“, oder: „…der hat sein Vermögen doch nur durch Schiebereien  erworben. …“. Empört-rechtender Neid hat auch eine politische Komponente. Dann fallen Bemerkungen wie: „Die haben ja nie gearbeitet und leben von unseren Steuergeldern…! Die nehmen uns die Arbeit weg!  Alles soll allen gehören!“ usw..– Hier findet sich die Neidgesellschaft.

 Schon Platon empfahl den Bürgern, in freundlichem Wettstreit miteinander zu leben und zu arbeiten, weil daraus der größte Wohlstand und die meiste Zufriedenheit erwachsen würden.

 Bei Rolf Haubl (2) finden wir auf der Rückseite seines Buchumschlages in charakteristischer Weise den Unterschied zwischen konstruktivem und destruktivem Umgang mit Neid geschildert:

„Geht ein US-Amerikaner mit seinem Freund spazieren. Kommt ein großer Cadillac vorbei. Sagt der Amerikaner zu seinem Freund: „So einen Wagen fahre ich auch noch mal!“ – Geht ein Deutscher mit seinem Freund die Straße entlang, fährt ein BMW vorbei. Sagt der Deutsche zu seinem Freund: „Der Typ geht auch noch mal zu Fuß!“

 Politische Ideologien, die auf Neid gegründet sind, können interessanterweise neben Erfolg besonders Schönheit schlecht ertragen. Schönheit fällt auf. In der Neidgesellschaft soll aber alles gleich sein. Eine Neidgesinnung verträgt schöne Kunstwerke, wie zum Beispiel bedeutende Architektur, schlecht. (Dies gilt aber ebenso für herausragende Musik, Malerei oder Literatur). Als nur ein Beispiel unter vielen anderen könnte man das Berliner Stadtschloss nennen, das mit sehr viel Aufwand gesprengt wurde. Dagegen sollte ein öder Einheitsbau, der „Palast der Republik“, Stadtmittelpunkt werden. Das Ganze wurde mit ideologischen Gründen gerechtfertigt. So erinnere ein Schloss an feudale Zeiten. (Man fragt sich unwillkürlich, woran dann Plattenbauten erinnern sollen.) Unzählige architektonische Meisterwerke, Kirchen, Schlösser und auch Profanbauten, wurden verwüstet. In Neidgesellschaften herrscht nicht nur Misstrauen und Gewalt, sondern auch viel Hässlichkeit. Kreativität, Initiative und Entwicklung wird systematisch unterdrückt. Nichts darf auffallen, weder positiv noch negativ. Auf diese Weise kommt nicht nur die Architektur und die Kunst, sondern auch jede andere spontane Regung schließlich zum Stillstand.

 Francis Bacon (1561-1626) schreibt in seinem Essay „Über den Neid“ (1597) „Wer stillsteht, während andere emporkommen, kann sich kaum der Regung der Missgunst erwehren.“ (3)

 Man kann sich sogar um das beneiden, was man selbst einmal war. Dies betrifft bei Frauen ganz besonders die (frühere) Schönheit. Bei Männern ist es vielleicht der Höhepunkt ihrer Karriere oder Fitness. Auch auf diese Weise kann sich die Feindseligkeit gegen die eigene Person richten. Man hasst seine eigene Schwäche. Dies kann bis zum Suizid führen.

 Bei der Schönheit einer Person entsteht der Neid durch Vergleich. Man wird auf eigene Mängel aufmerksam. Der Neid will diese Kränkung beseitigen. Am liebsten würde man die ganze Person vernichten, deren Anblick die missliche Stimmung verursacht. Warum ist die andere schöner als ich? Das ist ungerecht! Schönheit kann man nicht einfach durch Anstrengung erwerben. Schönheit ist ein unverdientes Göttergeschenk. Hier finden wir am häufigsten Feindseligkeit in der Abwertung, wie das Stereotyp, dass schöne Frauen zwangsläufig dumm sein müssten oder auch in den zahllosen Blondinenwitzen.

 In der sonntäglichen ARD-Sendung „Anne Will“ vom 22. September 2009, wurde der bärbeißige damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) von der Moderatorin gefragt, ob ihn die Beliebtheit seines Wirtschaftsminister-Kollegen zu Guttenberg (CSU) schmerzen würde. Steinbrück antwortete: „Er sieht besser aus als ich.“ Das klang zwar witzig, aber damit hat er sich decouvriert. Er verpackte die feindselige Regung in eine Bemerkung, die den jungen Minister auf sein Aussehen reduziert und ihm damit indirekt auf subtile Weise die Fachkompetenz abspricht. Neid bekam der Minister aber nicht nur vom früheren Kollegen und politischen Gegner zu spüren sondern auch aus den eigenen Reihen. Kein anderer erregt so viel Aufmerksamkeit, wie „der Baron aus Bayern“. Man darf gespannt sein, wie lange er die Anfeindungen aushalten wird.

 Im Neid werden Vorzüge oder Privilegien des Neiderregers vergrößert wahrgenommen. Da Neid aber meistens maskiert auftritt, bemerkt ihn der Betroffene oft nicht gleich und ist dann über die ihm entgegenschlagende Feindseligkeit erschrocken.

 Es gibt vielfältige Ausdrucksweisen von Neid, wie z. B. Rache, Ressentiment, (hierher gehört auch die Gewalttätigkeit Jugendlicher), Mitleidlosigkeit in der Kritik und nicht zuletzt Zynismus. Weit gefährlicher als offene Feindseligkeit sind Intrigen. Sie können die soziale Existenz des Beneideten vernichten.

 Mit Neid eng verbunden ist die Schadenfreude, das Gefühl, dass wieder Gerechtigkeit hergestellt wurde. Der Neider freut sich, auch wenn er eigentlich nichts vom Pech des Neiderregers hat.

 Goethe bemerkte lapidar, dass Neider Feinde sind. Nietzsche gab den Rat, zu jeder guten Nachricht auch gleich eine schlechte mitzuliefern, um die Neider zu besänftigen.

Sigmund Freud war der Meinung, dass der Neid der anderen „unheimlich“ sei. Besondere Gefahr bestehe dann, wenn etwas kostbar und hinfällig ist. Schönheit ist besonders kostbar – und hinfällig. So kann sich das Privileg der Schönheit in eine Bedrohung für die eigene Existenz verkehren.

 Schutzamulette, gegen den bösen Blick, wie sie weltweit verbreitet sind, Bekreuzigungen, die Hand der Fatima, und vieles andere, zeugen davon, dass alle Kulturen von den Gefahren, die der Neid mit sich bringt, wissen. Sogar die Götter sind bekanntlich neidisch: (Schiller, Ring des Polykrates).

 Da nun aber Neid überall vorkommt, und alle Menschen genau zu wissen glauben, was es mit dem Neid (der anderen) auf sich hat, muss dieses unangenehme Gefühl, das für den Neider ebenso destruktiv wirkt, wie für denjenigen, auf den sich die Angriffe richten, eine wichtige Funktion haben: Neid ist ein unentbehrliches Signal, das Entwicklung anmahnt. Diese Entwicklung kommt allerdings nur dort in Gang, wo die Mahnung richtig verstanden wird und die unangenehmen Gefühle in konstruktive Handlungen umgesetzt werden können. Viel einfacher ist es hingegen, wütend zu reagieren und das Neid erregende Objekt zum Teufel zu wünschen.

 Feindseliger Neid tritt besonders häufig bei den Menschen auf, die an einer Selbstwertproblematik leiden. Erich Fromm (4) sagt, dass Neider sich nicht selbst lieben können. Sie sind – nach seiner Meinung – aber auch nicht bereit etwas dafür zu tun, um ihren Selbstwert zu steigern. Das bedeutet, dass Neider passiv sind. Sie beneiden zwar die Vorzüge und Leistungen anderer, wollen aber die Mühen, die mit einer Änderung ihrer Situation verbunden wären, nicht auf sich nehmen. Der Ruf, sich mehr anzustrengen und mit dem Beneideten in fairen Wettbewerb einzutreten, wird abgewehrt.

 Neid soll Selbstzufriedenheit und Entwicklungsstillstand verhindern. Darum ist das Gefühl so unangenehm. Es verstört. – Der Anblick von Schönheit ist ein Weckruf: Vielleicht an uns selbst, uns weniger gehen zu lassen, achtsamer zu leben, die innere und äußere Haltung zu korrigieren oder sich mit schöneren Dingen zu beschäftigen, anstatt jeden Abend im Fernsehen seichte Sendeformate zu konsumieren.

 Im Schneewittchen, dem wohl bekanntesten Märchen der Brüder Grimm (5), duldet die böse Stiefmutter keine Schönheit neben sich. Auf die Frage „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ antwortet der Spiegel: „Frau Königin, ihr seid die Schönste hier, ABER Schneewittchen ist noch tausendmal schöner als ihr.“ Diese Antwort löst bei der Königin Mordgedanken aus. Hier handelt es sich paradigmatisch um den Neid der (immer noch) schönen Mutter auf die Schönheit und Jugend ihrer Tochter.

 So beauftragt sie auch folgerichtig den Jäger, das schöne Kind im Wald zu schlachten und ihr zum Beweis dafür Herz und Leber zu bringen. Schneewittchen überlebt bekanntlich den ersten Mordanschlag, weil der Jäger Mitleid hat. Der erlegt stattdessen ein junges Wildschwein und bringt die Innereien als Beweis zur Königin. Als der Zauberspiegel offenbart, dass Schneewittchen noch lebt, macht sich die Mutter selbst ans Werk und versucht das Kind auf dreierlei Weise aus der Welt zu schaffen:

Zuerst schnürt sie das Mädchen so fest, dass es zu Boden fällt und fast erstickt. Die Zwerge retten Schneewittchen. Sie lösen die Bänder, so dass es wieder atmen kann. – Oft genug werden beneidete Menschen mit so viel Gehässigkeit verfolgt, dass ihnen buchstäblich die Luft weg bleibt.

Der zweite Anschlag wird mit einem vergifteten Kamm ausgeführt. Auch diesmal entdecken die Zwerge den Fremdkörper noch rechtzeitig. Schneewittchen erholt sich. – Dies verweist auf die giftigen Bemerkungen der Neider. Ein treffenderes Symbol hätte kaum gefunden werden können.

Schließlich greift die böse Mutter zum letzten Mittel, dem präparierten Apfel, von dessen giftfreier Seite sie selbst abbeißt, um die Bedenken des jungen Mädchens zu zerstreuen.

– Hier zeigt sich die Falschheit, die Intrige, die so oft tödlich endet. Dies wurde und wird im Theater, in der Oper und der Literatur, immer wieder bewegend thematisiert. Es handelt sich um die Beschreibung einer Tragödie, die täglich neu belebt und erlitten wird.

 Schneewittchen rettet sich in den Wald zu den Zwergen. Es ist jetzt einsam und isoliert. So wie jeder, der aus Neid mit Hass verfolgt wird sich verständlicherweise abwendet, – dadurch aber auch vereinsamt.

 Schneewittchens Schönheit hat niemand etwas weggenommen. Die Mutter ist ja immer noch außerordentlich schön. Für die Tochter aber ist die Schönheit zur tödlichen Gefahr geworden. Die Zwerge, zu denen sich das Mädchen gerettet hat, erwarten von ihm, dass es während ihrer Abwesenheit den Haushalt besorgt und sich mit Putzen und Kochen nützlich macht. Dadurch wird die Prinzessin auf eine Weise herabgestuft, die ihrem Rang nicht entspricht.

 Schönheit macht einsam. „Zwerge“ konkurrieren nicht. Sie erreichen aber durch ihre Solidarität eine gewisse Teilhabe an Schneewittchens Vorzügen. Sie gehört ja jetzt gewissermaßen zu ihnen. Zwerge sind aber keine ebenbürtigen Partner. In diesem Milieu kann sie sich nicht weiter entwickeln. Es fehlt wohlwollende Konkurrenz. Darum muss der Prinz erscheinen, der sie zu der macht, die sie eigentlich ist. Die Prinzessin wird zu seiner Königin und findet sich damit wieder in dem zu ihr passenden Umfeld. Dort wird ihr das Privileg der Schönheit nicht geneidet.

 Zur Strafe muss sich die böse Stiefmutter in glühenden Pantoffeln zu Tode tanzen. Dies verweist darauf, dass dem Neider das leidenschaftliche Leben und Selbsterleben fehlt. Tanzen bedeutet Bewegung im Kontrast zur inneren Erstarrung die der Neid mit sich bringt. Das ständige Vergleichen verhindert Lebendigkeit und die Freude an der eigenen Entwicklung. Wer nur auf die Vorzüge der anderen schielt, verpasst seine eigenen Möglichkeiten.

 In diesem Zusammenhang ist noch eine brisante Verwandte des Neides zu erwähnen: Die Eifersucht. Beide Gefühle sind miteinander verwandt. Umgangssprachlich werden sie häufig synonym gebraucht, dennoch besteht ein Unterschied in der Gefühlsqualität:

In ihrer bekanntesten Erscheinungsform liegt ein Dreiecksverhältnis vor: Geliebte, eifersüchtiger Mann und Rivale. (Natürlich gilt dies ebenso in der weiblichen Variante). Der Eifersüchtige hat Angst, das geliebte Objekt an eine andere Person zu verlieren oder mit ihr teilen zu müssen. (Es kann sich aber auch eine andere Leidenschaft zum Rivalen für die Beziehung entwickeln.) Ob es dabei tatsächlich um Liebe geht, ist zu bezweifeln. Eifersüchtige lieben nicht. Sie betrachten den Partner als Besitz und wollen unter allen Umständen den Status quo aufrechterhalten. Dies bedeutet: Eifersüchtige wollen (aus Angst) Entwicklung verhindern. (1)

 Es handelt sich um die Frage nach „Haben oder Sein“, wie sie Erich Fromm (6) so treffend beschreibt. Lieben im Zustand des Habens will das geliebte Objekt besitzen. Das bedeutet, dass man über diesen Menschen verfügen will. Er/Sie darf sich nur so weit entwickeln, wie dies keine Bedrohung für die Beziehung werden kann. Das erklärt z. B. warum manche Männer so panisch reagieren, wenn die Frau nach der Kinderpause wieder in den Beruf zurückkehren will. Alle Aufmerksamkeit soll ausschließlich auf die häuslichen Angelegenheiten und das Wohlergehen des Partners beschränkt bleiben. Andere Aktivitäten werden als Bedrohung empfunden.

 Liebe im Zustand des Seins hingegen erlaubt einen Entwicklungsprozess auf beiden Seiten. Die Fortschritte der Partner werden interessiert und wohlwollend begleitet. Man kann sich sogar – wenn es der Entwicklungsauftrag verlangt – in gegenseitiger Wertschätzung und Achtung trennen. Die Liebe wird nicht als lebenslange Einkerkerung um den Preis des Stillstandes begriffen.

 Eifersucht endet nicht selten (auch in unseren Tagen) tragisch. Wir lesen es immer wieder in den Boulevard-Blättern, dass ein früherer Beziehungspartner seine Frau – und oft auch noch die Kinder – umbringt. Einerseits aus Neid und andererseits aus Eifersucht. In den meisten Fällen geht es aber um reinen Machterhalt. Hier wird Liebe mit Besitz verwechselt. Die Zweierbeziehung wird zum lebenslangen Gefängnis. Er/Sie gönnt dem früheren Partner kein anderes Glück, selbst wenn die Trennung nicht aus Liebe zu einem anderen Mann/Frau stattgefunden hat, sondern wegen eindeutiger Verfehlungen des (aggressiven) Partners, z. B. wegen Alkohol- oder Spielsucht oder sonstiger Probleme, die die Familie und die Kinder gefährden. Oft hat ein Partner nur den Wunsch, in Frieden leben zu können.

 Unsere christlichen Wurzeln verlangen eine Gesinnung der größtmöglichen Neidfreiheit. Das Christentum verurteilt neidische Menschen, da sie die Gemeinschaft zersetzen. So lautet eines der zehn Gebote: „Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgend etwas, das deinem Nachbarn gehört.“ (Exodus 20, 17). Da dieses Begehren eine nie versiegende Quelle von Feindseligkeit ist, wird Neidern damit gedroht, dass sie ihr Seelenheil verspielen.

Im Buch der Weisheit (2, 24) steht: „Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“ Daher rechnet die Kirche den Neid zu den Todsünden.

 Der griechische Kirchenvater Gregor von Nyssa (334-394) zieht alle Register, um vom Neid abzuschrecken: „Neid, die uranfänglich böse Leidenschaft, der Vater des Todes, der erste Zugang zur Sünde, die Wurzel des Übels, der Ursprung der Traurigkeit, die Mutter des Unglücks, die Grundlage des Ungehorsams (…) Neid, todbringender Stachel, verborgene Waffe, Krankheit der Natur, verderbliches Gift, selbst gewollte Abzehrung, bitterer Pfeil, Nagel der Seele, Brand im Herzen (…) Glück ist nicht das eigene Gut, sondern das Schlechte des Nächsten.“ (7)

 Damit ist (fast) alles zusammengefasst, was es über die negativen Erscheinungsformen des Neides zu sagen gibt.

 Das Gregor von Nyssa nicht erwähnt, ist dass die Angst, Neid zu erregen alle  Unbeschwertheit und Spontaneität einschränkt, ja geradezu abtötet. Der Neiderreger fühlt sich zu Unrecht mit Hass verfolgt. Oft glaubt er sich noch mehr anstrengen, noch perfekter sein zu müssen und erreicht damit doch nur das Gegenteil. Er hat ja dem Neider nichts angetan sondern nur an sich selbst gearbeitet. Dies verweist darauf, dass der Neider eigentlich die Wut über das Privileg eines anderen als  Signal verstehen sollte, sich mehr anzustrengen. Daher schämt sich der Neider auch seiner destruktiven Gefühlsregung. Wenn er noch einigermaßen seelisch intakt ist, spürt er, dass sein Neid eigentlich eine Botschaft für ihn selbst bereithält.

 Weil Neid so starke Aggressionen hervorruft, passt man sich lieber an, versucht nicht aufzufallen und möglichst keinen Anlass für Neid zu geben, aber man entkommt ihm trotzdem nicht. Neid verlangt nach Nivellierung. Auch wenn man versucht, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, muss man trotzdem mit gefährlichen Angriffen rechnen. Selbst Bescheidenheit kann Neidgefühle auslösen.

 Die Bösartigkeit und Mitleidlosigkeit neidischer Menschen wird in den Medien gern  benutzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Da wird jeder, der einigermaßen prominent ist, ohne alle Rücksichten beschädigt und entwürdigt. Es ist dabei völlig egal, ob es sich um echte Verfehlungen handelt oder nicht. Es genügt ein Schweißfleck oder ein kleines Stolpern; Prominenz wird auf jeden Fall durch den Kakao gezogen. Für eine Schlagzeile wird die „Würde des Menschen“ schnell geopfert. Der Widerruf erscheint Monate später in kleiner Schrift in irgendeiner unscheinbaren Ecke der Zeitung. Rücksicht auf Ehre und Reputation dort ist nur ein Thema für Zyniker. Die angeblich freien – aber vom Kommerz doch so abhängigen – Print- und sonstigen Medien schüren eine Neidgesellschaft, weil nicht nur „Sex sells“ sondern auch das Neidthema, das ebensolche archaischen Reflexe bedient. Ob damit dem Land und seinen Bürgern ein Gefallen getan wird, kann bezweifelt werden. Neid legt sich wie fettiger Ruß über ganze Systeme.

 Soziale Missstände sind anzuprangern, aber nicht aber um den Preis, hervorragende Leistungen zu unterdrücken, lächerlich zu machen oder zu unterschlagen.

 Im antiken Athen gab es ein Verfahren, bei dem auf Tonscherben der Name von herausragenden Mitbürgern geritzt wurde, woraufhin eine Verbannung von fünf bis zehn Jahren ausgesprochen werden konnte. Dieses Verfahren stand mit Neid in Verbindung. –

Bernard Mandeville (8) 1670-1733 äußert sich dazu schon vor dreihundert Jahren: „Der Ostrazismus der Griechen war eine Opferung verdienstvoller Männer zugunsten einer Neidepidemie und wurde oft als unfehlbares Heilmittel verwendet, um die üblen Folgen allgemeiner Unzufriedenheit und Erbitterung zu verhüten oder wieder gutzumachen. Ein staatliches Opfer beschwichtigt oft das Murren eines ganzen Volkes und spätere Geschlechter wundern sich häufig über derartige Barbareien. (…) Sie sind Komplimente vor der Bosheit der Menschen, der nie besser gedient ist, als wenn sie sehen können, wie ein großer Mann gedemütigt wird.“ (Parallelen zu Praktiken, wie unsere Medien heute verfahren, sind kaum zu übersehen.)

 Was kann man tun, um sich das eigene Leben nicht durch Neid verbittern zu lassen?

Zuerst sollte man seinen eigenen Neidtendenzen nachspüren. Neid macht unfroh. Wenn man seinen Blick nicht von den Privilegien, die ein anderer besitzt wenden kann, bindet man sich nur umso fester an das eigene Missbehagen. Wir wünschen uns alle ein glückliches, zufriedenes Leben. In einem solchen Leben spielt Neid keine Rolle mehr.

 Der Neider überhöht das Glück des Beneideten und findet auf diese Weise nie Ruhe. Wer Glück gönnen kann und gelassen bleibt, wenn der Nachbar sich mehr leistet, weil er die Mittel dazu hat, hat ein stabiles Selbstwertgefühl. Das bedeutet, dass wir uns vorrangig um unser eigenes Wohlergehen kümmern müssen und weniger um das, was der Nachbar besitzt. Sonst hätten wir den „bösen Blick“. Damit wäre man bekanntlich wenig sympathisch und würde sich aus der Gemeinschaft selbst ausschließen.

 Es gibt soziale Normen die uns sagen, wie wir mit unserem eigenen Neid umgehen können: Grundsätzlich wird verlangt, dass wir nicht neidisch sein dürfen, wenn andere ein begehrtes Gut zu Recht besitzen, insbesondere aufgrund einer besonderen Leistung. Man darf seinen Neid ansprechen, aber nur, wenn er mit aufrichtiger Bewunderung und Anerkennung verbunden ist.

 Feindseliger Neid hingegen wird von der Gemeinschaft sanktioniert. Der Neider gilt als unfair. In diesem Fall wirken Scham- und Schuldgefühle zusammen. Dies beginnt schon im Elternhaus, wo im Idealfall im Zusammenhang mit der Geschwisterrivalität eine nachdrückliche Gefühlserziehung stattfindet.

 Was können wir tun, um mit Neid konstruktiv umzugehen?

Wenn wir innerlich stark genug sind, können wir unseren eigenen Neid tolerieren und als Signal nutzen, um unser Selbstwertgefühl zu überprüfen. Wir finden Aufschluss über unseren Ehrgeiz und unser Gerechtigkeitsempfinden. Wir sollten prüfen, ob die Ziele, die wir verfolgen angemessen sind, oder ob wir unseren Lebensentwurf verändern sollten, um zufriedener und glücklicher zu werden. Der Mangel, auf den uns unsere Neidgefühle aufmerksam machen wollen, kann beseitigt werden, wenn wir den Neid als Stimulus nutzen und unsere Kräfte mobilisieren.

 Ist das von uns erstrebte Gut jedoch unerreichbar, dann sollten wir unsere Einstellung gegenüber unseren Ansprüchen ändern. Damit reduzieren wir uns selbst auf ein realistisches Maß. Wir müssen dann nicht weiter entwerten, sondern den schönen Gegenstand bewundernd für unsere eigene Entwicklung nutzen. (Eine Frau, die nur 1,60 Meter groß ist, wird es nie in die Weltklasse der Mannequins oder zum Vogue Cover schaffen. Sie kann aber vielleicht auf ganz anderen Gebieten zum Star werden. Ein mittelmäßig begabter Sportler kann vielleicht in seiner Klasse einen Vereinscup gewinnen, er wird aber kaum in der Bundesliga bei den Weltmeisterschaften auflaufen. Als Fan hat er aber Teil am Erfolg seiner Mannschaft und kann sich mit „seiner“ Elf freuen.)

 Wenn wir den anderen wohl wollen, gönnen wir ihnen alles. Wenn wir gut für uns selber sorgen und selber an der Fülle des Lebens teilhaben, werden wir mit unseren Neidgefühlen gut umgehen können, weniger misstrauisch sein, den Neid der anderen erkennen, und ihn, so gut es geht, entschärfen. (10) Sollten wir aber Opfer von Neidattacken sein, müssen wir uns im schlimmsten Fall aus dem Neid-Feld entfernen. Beispiel: Mobbing oder Intrigen am Arbeitsplatz.

 Die permanente öffentliche Diffamierung von Schönheit in unserer Gesellschaft hat unsere Seelen krank gemacht. Anstatt uns am Schönen zu erbauen und zu erfreuen, sehen wir nur Unzulänglichkeiten und werden dadurch unzufrieden und immer neidischer. Wer sich hingegen bewusst mit Schönheit umgibt, wird ausgeglichener sein und davon etwas reflektieren. – Was können wir also tun? – Um Willi Brandt etwas abzuwandeln würde ich empfehlen: Mehr Schönheit wagen!

  

Literatur:

(1) Haubl, Rolf (2003). Neidisch sind immer nur die Anderen. 3. Aufl. München: C.H.Beck.
(2) Haubl, R. a.a.O. Revers
(3) Kant, I. (1977). Die Metaphysik der Sitten. Frankfurt am Main, S. 443 f., §36.
(4) Bacon, F. (1999). Über den Neid. In ders. Essays (S. 24-30) Stuttgart.
(5) Brüder Grimm.(1980, 2001). Kinder – und Hausmärchen. Philipp Reclam jun. Stuttgart
(6) Fromm, E. (19..) Haben oder Sein.
(7) Gregor von Nyssa, Schriften. S. 167. München 1927).
(8) Bernard Mandeville . (1980). Die Bienenfabel. Frankfurt am Main, S. 177
(9) siehe Haubl. a.a.O., S. 130)
(10) Kast, Verena. (1998). Neid und Eifersucht. München: dtv