Das Bild des älteren Menschen in unsere Zeit

DGPA Jahrestagung 24. 10. –27. 10.  2002
Leopold-Franzens-Universität. Innsbruck

Bilder sagen mehr als tausend Worte:

Die Bildsprache transportiert Werte und Unwerte, die anderweitig so eindrücklich und so schnell nicht zu vermitteln sind. Unsere Medienschaffenden suchen nach Bildern, die einen möglichst hohen Erregungswert besitzen. Sie wissen, dass sie damit auch etwas in die Betrachter hinein-bilden, aber dabei ist es scheinbar gleichgültig, ob eine positive oder unheilvolle Wirkung von den Bildern ausgeht.

Maßstab für die Bildauswahl ist der Preis, der geboten wird. Je stärker der „Aufreger“, wie es im Boulevardpresse-Jargon heißt, umso mehr wird bezahlt. Jeder, der mit Erziehung zu tun hat weiß, dass schlechte Vorbilder gerne nachgeahmt werden. Sie senken die Hemmschwelle für das eigene Tun.

Unsere Vorfahren waren daran interessiert, ein möglichst gutes Bild von sich in der Öffentlichkeit abzugeben, eine „bella figura“ – oder ein gutes Image, wie es neudeutsch heißt. Diese Persona oder Maske, hinter der sich der wahre Mensch verbirgt, durch die er hindurch „tönt“ (personare), wurde mit allen Mitteln verteidigt und aufrecht erhalten. Der „Gesichtsverlust“ ist – in anderen Kulturvölkern auch heute noch – schlimmer als der Tod. Dies muss Gründe haben.

Die Gründe haben wohl etwas mit Kontinuität, Familie und Gesellschaft zu tun, mit der Erziehung der Nachkommen und mit dem Erhalt der jeweiligen Kultur.

Bilder sind auch Ge-bilde, sie unterliegen Moden. Der Zeitgeist, der früher von der Kirche und/oder der jeweiligen Herrscherklasse geprägt wurde, wird heute von Medien erzeugt und diese wiederum richten sich bei der Auswahl ihrer Themen ausschließlich nach dem augenblicklichen geldwerten Vorteil.

Bilder sind für kommerzielle Vermarktung gut einsetzbar. Sie wirken schneller als Schrift, sie sind beliebiger interpretierbar, und insofern verlangen sie weniger konkretes Nachdenken – weder beim Leser, noch beim Journalisten. Sie sind auch vielfältiger einsetzbar, weil ihre Veröffentlichung nicht durch Text verantwortet werden muss.

Bild und Vorbild werden für Reklameflächen, von Fernsehsendern und der Boulevard- bzw. Yellow-Press erzeugt. Sie bestimmen, was „in“ oder „out“ ist. Sie dürfen auf keinen Fall die Normalität abbilden; das wäre langweilig, würde eigene Geistesarbeit erfordern. Dies gilt heute, in der Zeit der Computerverfälschung noch mehr als je zuvor. Man darf kaum noch einem Bild trauen, weil das, was früher in Ausnahmefällen nur durch Spezialisten mühevoll retuschiert werden konnte, heute von jedem PC aus fast beliebig verändert werden kann.

Statische Selbstinszenierung, wie wir sie von gemalten oder fotografischen Portraits her kennen, besitzen kaum den geforderten Erregungswert. Portraits verlangen Betrachtung, nach-denken, Überlegungen darüber, wer hier abgebildet ist. Portraits sind keine „Hingucker“, die man flüchtig wahrnimmt. Oder doch?

Das öffentliche Bild des älteren Menschen, ist in unseren Tagen leider kein gutes; – dies wirkt sich negativ auf die Lebensqualität der älteren Generation aus, ebenso wie auf die Jugend und deren Vorstellung von der Welt der Erwachsenen.

Wie verhält es sich nun mit den älteren Menschen, wer gehört dazu?

Etwa ein 40-jähriger Manager, der gerade mit einer hohen Abfindung für sein wirtschaftliches Scheitern grandios belohnt wurde? Oder ein 50-jähriger Arbeitsloser, der untätig herumsitzt? Ein 60-jähriger Playboy, der mit einem 25-jährigen Model in der Öffentlichkeit prahlt? Der 70-jährige Bild-Chef, der stolz seinen erstgeborenen Säugling präsentiert?

Eine 40-jährige Ehefrau, die sich in Töpfer- und Malkursen auf Sinnsuche begibt? Die 50-jährige Großmutter, die durch ergebenste Übernahme aller Hausarbeiten bei den Kindern versucht, ihre Daseinsberechtigung zu erhalten? Die 60-jährige, die im Wander- und Kegelclub mit gleichgesinnten Freunden ihren (Un)-Ruhestand bekämpft,– oder die 70-jährige, die mit ihren Ersparnissen den Enkel ködert und über ihre Unpässlichkeiten die Verbindung zu den Kindern hält?

Wer von diesen „erwachsenen“ Personen kommt ins Bild der Öffentlichkeit und hat damit Vorbildfunktion?

Über den Manager mit der hohen Abfindung wird nur so lange berichtet, wie man sich darüber öffentlich empören kann. Später vielleicht noch einmal, wenn er sich mit der Jeunesse dorée auf seiner Yacht sonnt und vielleicht, wenn die aktuelle Ehefrau eine ungewöhnlich hohe Abfindung bei der Scheidung verlangt. Solche Bilder bleiben im Gedächtnis junger Mädchen haften, sie lernen daraus, dass es heute schon für einen „Prominentenstatus“ genügt, die verflossene Geliebte oder der Begleiter eines Medienlieblings zu sein.

Der Arbeitslose wird als Individuum kaum wahrgenommen. Wen interessiert schon ein alltägliches Schicksal? Öffentlichkeitswirksam ist jedoch der alternde Playboy, der aller Welt zeigt, dass er sich einen blonden Harem leisten kann. Der 70-jährige „Jung-Vater“ gibt vergreisenden Herren, die von ihrem Eroberungstrieb noch nicht Abschied nehmen konnten, neue Hoffnung.

Die 40-jährige versucht vielleicht über Politik etwas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sie wird jedoch auch kaum zum „Hingucker“. Die 50-jährige verschwindet aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ihr fehlt aller Glamour und auch alles Spektakuläre, wonach eine Mediengesellschaft verlangt. Sie ist es zwar, die noch die Struktur der Familie aufrecht erhält, aber von ihr nimmt man keine Notiz. Die 60-jährige ist ebenso uninteressant, wie die 70-jährige; die höchstens als künftige (aber aktuell lästige) Erbquelle innerhalb der Familie ihren Platz hat. (Ausnahme: wenn sie vom ungeduldigen Enkel erschossen wird, weil sie droht, das Geld einer gemeinnützigen Institution zu vermachen. Dann allerdings kann sie sich kurzfristig  einer gewissen Anteilnahme sicher sein; – mehr jedoch noch ihr Mörder.)

Ist ein solches öffentliches Bild als Vorbild für die nachfolgende Generation zu gebrauchen? Wenn man junge Leute fragt, ob sie Vorbilder haben, so bejahen sie dies häufig. Ob diese aber nützlich und sinnvoll sind, muss bezweifelt werden.

Um Aufmerksamkeit zu erheischen, werden die Selbstinszenierungen (auch und gerade der Älteren) immer bizarrer. Aufmerksamkeit bekommt, wer sich möglichst verrückt in Szene setzt. Seitenweise wird über den ständig betrunken Entertainer berichtet, der mit einer Jugendlichen tagelang im Hotelzimmer eingeschlossen blieb, und sich mit der Halbnackten auf dem Schoß im Bademantel von der Presse ablichten lässt; den liebestollen Minister, der mit seiner Geliebten im Schwimmbecken planscht. Die alternde Society-Lady, die sich ihren Latin-Lover hält, wie andere Leute einen extravagant getrimmten Pudel.

Tugenden, wie z.B. unauffällige Pflichterfüllung, die früher ein gutes Mitglied der Gesellschaft auszeichneten, Zurückhaltung, sind heutzutage uninteressant. Man bekennt sich lieber breit und öffentlich zu seinen Schwächen und Obsessionen.

Nach wie vor üben Stars eine starke Wirkung auf die Allgemeinheit aus. Das betrifft nicht nur die Mode, sondern auch das Verhalten. Insofern waren die Film-, Sport- und Musikgrößen der 50er-Jahre immer auf ein gutes Image bedacht und darauf, möglichst keine Skandale zu verursachen. Sie waren sich noch ihrer Vorbildfunktion bewusst; und wenn sie es selbst nicht schafften, so hielt sie ihr Manager von größeren Dummheiten ab und sorgte für eine diskrete Presse.

Das ist heute ganz anders geworden: Ist der Rolling-Stones-Chef Mick Jagger ein Vorbild, dem man nacheifern sollte? Der britische Weltstar Hugh Grant, – jenseits der Vierzig -, antwortet in einem SPIEGEL-Interview auf die Frage, ob er denn partout nicht erwachsen werden wolle mit: „… das ist so ziemlich das Letzte, was ich will.“ Oder wären etwa Politiker Vorbilder, die meist nur dann ins Bewusstsein gerückt werden, wenn sie sich gravierende Entgleisungen geleistet haben? Sind unsere Tatort-Kommissare nicht etwa so in Szene gesetzt, dass man annehmen könnte, es gäbe nur überreizte Beamte, die durch besonders schlechte Manieren auffallen? Sind ihre Chefs tatsächlich nur arrogante Trottel? Lautet die Botschaft in diesem Fall nicht: wer Chef ist und Verantwortung trägt, ist autoritär, unfähig und charakterlos?

Kurz gesagt ergibt sich aus Presse, Funk und Fernsehen heutzutage folgendes Bild: Männer sind machtgierige, weibertolle, korrupte Narren, Frauen sich permanent prostituierende, geldgierige Luder. Sind das die Vorbilder?

Robert Bly spricht von der „Kindlichen Gesellschaft“. Vielleicht sollte man sie besser „kindisch“ nennen.

Es ist höchste Zeit, dass die älteren Menschen sich wieder richtig ins Bild setzen. Dass sie den guten Anschein geben, dass sie sich um ihr Image bemühen, selbst wenn dahinter vielleicht nicht alles so wunderbar aussieht. Jeder weiß, dass wir Idealbilder zumindest anstreben sollten. Erreichen werden wir sie nie; aber wir können wenigstens so tun, „als ob“ … . Das ist allemal besser, als die andauernde öffentliche Selbstdemontage, die Anbiederung an die Jugend, die nur mit Wut und Vandalismus quittiert wird.

Jugend verlangt nach Vorbildern! Wenn wir sie nicht herzugeben bereit sind, flüchtet sie sich noch mehr in ihre Scheinwelt der Discos, der Drogen, – und sie erlebt das Erwachsensein als wert- und sinnlos.

Es ist wichtig, dass wir uns von uns wieder ein gutes Bild machen. Jahrzehnte lang wurde der ältere Mensch verhöhnt, verachtet und gedemütigt, mit den entsprechenden Folgen für das eigene Selbstwertgefühl. Die Jugend wird und wurde glorifiziert. Die Alten sind so verunsichert, in ihrer Selbstverachtung so verankert, dass sie ihr Vor-bild  nur noch in ihren eigenen Kindern zu finden glauben; (nicht – wie es tatsächlich der Fall ist, ihr Nach-bild). Damit aber wird die Jugend überfordert.

Woher soll ein junger Mensch wissen, wie die Mutter in ihrer Ehekrise handeln soll? Wie kann der Sohn seinem Vater Vorschriften bezüglich seines Verhaltens machen? Dies geschieht täglich, mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten. Das Generationenverhältnis hat sich ins Absurde verkehrt: Kinder als Erzieher ihrer Eltern, Eltern ohne Orientierung für sich selbst, ohne eigene Wertvorstellungen! Lehrer, die ihren Kindern keine moralische Instanz sein wollen. Wir erleben den Autoritätsverlust jeden Tag, intern und öffentlich – und wir erleben den verständlichen Zynismus der Jungen.

„Der Mensch wurde gewiss keine siebzig und achtzig Jahre alt, wenn diese Langlebigkeit dem Sinn seiner Spezies nicht entspräche. Deshalb muss auch sein Lebensnachmittag eigenen Sinn und Zweck besitzen und kann nicht bloß ein klägliches Anhängsel des Vormittags sein “ (C. G. Jung, GW VIII)

Der Sinn im Leben, die Aufgabe des älteren Menschen ist es, der jüngeren Generation Vorbild zu sein, ihr Orientierung im Leben zu geben. Das bedeutet vor allen Dingen selbst vorbildlich zu leben und zu handeln, gerade in der äußeren Erscheinung, dem Bild.

Das klingt nach Predigt. Wahrscheinlich haben wir sie nötig, damit wir uns wieder be-sinnen und nicht von Sinnen kommen, wegen der Bilderflut, der wir kaum noch gewachsen sind. Vielleicht bräuchte es wieder einmal einen Bildersturm. Vielleicht sollten wir uns weniger ein Bild machen – sondern ein Vorbild abgeben. Damit könnten wir sogar dem weit verbreiteten Gefühl der Sinnlosigkeit ein Schnippchen schlagen.

 

Literatur:

Bly, Robert: Die kindliche Gesellschaft: über die Weigerung erwachsen zu werden. München, Kindler 1997
Schoch, Anna: Perspektiven für erwachsene Männer, Zürich, Orell Füssli, 1997
DER SPIEGEL: Hamburg, S. 150, ff, 33/2002