Emotionale Intelligenz

Emotionale Intelligenz – ein Muss für erfolgreiche Führungskräfte

Mäxchen war ein miserabler Schüler. Als er erwachsen ist trifft er auf seinen alten Lehrer. Inzwischen fährt der „große Max“ fährt ein teures Auto, trägt eine goldene Rolex und ist auch sonst mit allen Insignien des Wohlstands ausgestattet. Der Lehrer ist fassungslos und fragt Max nach seinem Erfolgsrezept. Frohgemut antwortet der: „Ach Herr Lehrer, Sie wissen doch wie schlecht ich immer im Rechnen war. Inzwischen kann ich das ganz ausgezeichnet. Ich handle mit Parfümerieartikeln. Meine Seifen, zum Beispiel, kaufe ich um zwei Mark ein und verkaufe sie um fünf Mark. – Und von den drei Prozenten lebe ich!“

Ist unser Max nun intelligent oder dumm?

Seine besondere Form der Intelligenz wird in IQ-Tests selten berücksichtigt. Die Geschichte zeigt uns aber in drastisch-humorvoller Weise, dass die Frage nach der Intelligenz gar nicht so einfach zu beantworten ist, dass Schulwissen nicht alles im Leben ausmacht.

Was ist Intelligenz? Intelligenz wurde bereits im antiken Griechenland als Persönlichkeitsmerkmal begriffen, als „Exhypnos“, Aufgewecktheit. Moderner ausgedrückt: als die Geschwindigkeit mit der Informationen verarbeitet werden können. In der modernen Psychologie wird diese Fähigkeit als Persönlichkeitsmerkmal verstanden, weshalb der Intelligenzquotient der Person als überdauernde Eigenschaft zugeschrieben wird. Intelligenz ist aber nicht nur angeboren, man kann sie auch schulen. Allerdings geht dies nur durch kontinuierliches Lernen und Einprägen.

Immer noch wird mit großer Ehrfurcht davon gesprochen, dass diese oder jene Person einen besonders hohen Intelligenzquotienten hätte. Dabei wurde der IQ-Test ursprünglich von dem französischen Psychologen Alfred Binet nur konstruiert, um eine Vorhersage über den Schulerfolg zu ermöglichen. Der Test misst nur das,  was der Psychologe, der ihn entwickelt hat, für Intelligenz hält.

Ähnliches gilt für Schulnoten. Gute Noten bedeuten, dass der Schüler die Aufgaben in der Schule bewältigt hat. Sie sind aber kein zuverlässiger Prädiktor dafür, dass der Schüler im wirklichen Leben Erfolg haben wird.

Was sind Emotionen?

„Richtig sieht man nur mit dem Herzen; das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupery, Der kleine Prinz)

Die Evolutionspsychologen haben den Emotionen eine zentrale Rolle zugewiesen. Immer dann, wenn wichtige Entscheidungen anstehen, wenn mit Verlusten umgegangen werden muss, bei der langfristigen Verfolgung eines Ziels trotz Frustration – oder bei der Partnerwahl und in vielen anderen Situationen: „Jede Emotion weckt eine spezifische Handlungsbereitschaft, die uns in eine Richtung weist, welche sich in der Evolution angesichts von Umständen, die in jedem Menschenleben immer wieder vorkommen, gut bewährt hat…. Während unserer Evolution sind solche Situationen immer wieder aufgetreten, und so hat sich ein überlebenswichtiges Repertoire an Emotionen herausgebildet, die sich als angeborene, automatische Tendenzen des menschlichen Herzens in unsere Nerven eingeprägt haben“ (Goleman, S. 20).

Emotionale Intelligenz entsteht durch langsame Konditionierungsprozesse, durch Einprägung. Es nützt nichts, nur Vorträge über emotionale Intelligenz zu besuchen, man muss sie kontinuierlich einüben.

Da wir bereits wissen, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit ein wichtiges Kriterium für Intelligenz ist, bedeutet emotional intelligentes Verhalten, dass man eine Situation schneller erfasst als andere. Der Eine kommt z.B. in einen Raum mit mehreren Personen und spürt sofort die spannungsgeladene Atmosphäre, während ein Anderer dafür nicht sensibel ist . Das kann besonders bei introvertierten Menschen der Fall sein. Sie reagieren kühl wie der Silicium-Chip eines Computers, der seine Entscheidungen ausschließlich aufgrund von Berechnungen trifft. Die Überzeugung, Emotionslosigkeit stelle den Schlüssel für erfolgreiches Problemlösen dar, spukt zwar noch in vielen Köpfen herum, wird aber heute kaum noch ernst genommen.

Daniel Goleman hat den Begriff „Emotionale Intelligenz“ 1995 in die öffentliche Diskussion eingeführt. Der Begriff war „intelligent“ gewählt, weil Goleman auf Defizite in unserer Gesellschaft aufmerksam machen wollte, denen wir alle ziemlich ratlos gegenüber stehen. Durch die Verwendung des prestigeträchtigen Begriffes „Intelligenz“ in Verbindung mit „Emotion“ konnte er mit Aufmerksamkeit rechnen. Emotionen wurden bis zu Golemans Buch eher als hinderlich für eine rationale Weltbetrachtung angesehen. Im Grunde geht es ihm um die Rückbesinnung auf Werte, die unseren Vorfahren sehr wohl bewusst waren und von ihnen auch eingeübt und geschult wurden. Kinder sollen wieder lernen mit sich und ihrer Umwelt achtsam umzugehen und – vor allen Dingen erkennen, welche Gefühle ihr Verhalten steuern. Man könnte ebenso gut von Charakterbildung oder Erziehung zu selbstverantwortlichem Handeln sprechen. Begriffe und Werte, die in unserer Kultur immer eine große Rolle spielten und dann – vielleicht wegen der Enttäuschung über die Massaker der beiden Weltkriege – aus dem Blick kamen. Religionen, als Anleitung für ein gelingendes Leben, wurden lächerlich gemacht. Überhaupt gilt Moral heutzutage geradezu als Synonym für Unaufrichtigkeit. Man ist lieber „aufrichtig“ unmoralisch. Dennoch kommt keine Gesellschaft ohne moralische Standards auf Dauer aus. Sie sind als Richtschnur und Ideal unverzichtbar.

In unserer Shareholder-Value-Gesellschaft zählt nur der unmittelbare materielle Nutzen. Hohe Gewinne und viel Geld scheinen alles zu rechtfertigen. Bildung, Charakter, Rücksicht, Anstand, Einfühlungsvermögen, gute Umgangsformen werden in unseren Tagen nicht sonderlich belohnt. Man gerät in Gefahr von weniger sensiblen Zeitgenossen überrumpelt zu werden, wenn man sich solche Verhaltensnormen zu Eigen macht; – und sei es nur (symptomatisch) im Kampf um einen Parkplatz.

Emotionale Intelligenz sollte wieder geschult und durch Einprägung zu einer überdauernden Charaktereigenschaft herausgebildet werden, so wie der IQ ein Persönlichkeitsmerkmal ist, wäre dann der EQ Kennzeichen einer gesellschaftlichen Elite und Voraussetzung für Führungskompetenz. – Oder war emotionale Intelligenz immer schon ein Merkmal für erfolgreiche Führung?

Goleman rührt an offene Wunden, wenn er schreibt, „…dass der Zusammenhalt der Gesellschaft sich immer schneller aufzulösen scheint, in der Egoismus, Gewalt und Niedertracht die Qualität unseres Gemeinschaftslebens zu untergraben scheinen.“

Wird uns nicht täglich durch die Medien vorgeführt, wie jeder Impuls sofort ausgelebt werden kann? Gilt nicht als besonders gut, ein Kind „antiautoritär“ zu erziehen? Was letztendlich nur heißt, dass Kinder keine Frustrationen auszuhalten lernen, dass sie nicht fähig sind Belohnungen aufzuschieben, sich auf eine Sache längere Zeit zu konzentrieren, dass Disziplin ein „Hasswort“ geworden ist. „Autoritär“ wird meistens mit „Autorität“ verwechselt – danach allerdings verlangen Kinder und Jugendliche – und auch immer mehr Erwachsene – verzweifelt.

„Emotionale Intelligenz hat etwas zu tun mit dem Zusammenhang zwischen „Gefühl und Charakter und moralischen Instinkten“. (Goleman)

Nun wird heute gerne so getan, als ob Moral oder Altruismus nur etwas für frömmelnde Betschwestern sei. Ohne die Fähigkeit zur Empathie hätte die Spezies Mensch, ja nicht einmal eine Schimpansenhorde, überlebt. Selbstbeherrschung und Mitgefühl sind die Voraussetzung für das Zusammenleben in einer Gruppe. Wir Menschen sind auf einander angewiesen – das ist eine Plattitüde! Dazu müssen wir aber sowohl uns selbst richtig wahrnehmen, als auch die Emotionen anderer richtig deuten können. Beides muss gelernt werden, man nennt dies heute „Sozialisation“ – früher hieß es schlicht „Erziehung“. Übrigens etwas, das man bei jeder Katzen- oder Hundemutter beobachten kann.

Wir alle kennen die Situation: Wir sind gemütlich mit dem Auto unterwegs und genießen die Tatsache, dass wir Zeit haben. Da sehen wir im Rückspiegel, wie ein ungeduldiger Sportwagenfahrer dicht auffährt und trotz der unübersichtlichen Lage zum Überholen ansetzt. Automatisch geben wir Gas. Die innere Ruhe ist dahin. Wir zeigen dem „Raser“ dass wir mindestens ebenso schnell beschleunigen können wie er. Wir reagieren mit Flucht, obwohl der aufholende Wagen nur schneller weiterkommen will als wir.

Psychologen sagen in solchen Situationen spöttisch: „Jetzt hat der Fahrer wieder sein Reptiliengehirn eingeschaltet!“ Tatsächlich übernimmt in diesem Augenblick reflexartig ein Impuls, der von einer niedrigeren neuronalen Basis her kommt, die Steuerung des Verhaltens. Die Vernunft braucht einige Zeit, bis sie sich durchsetzt, denn die neuronalen Verschaltungen des Neokortex sind komplizierter und infolgedessen auch unklarer. Sie müssen mehrfach überprüft werden, bis eine Handlung ausgeführt werden kann. Die neuronale Primitivreaktion hingegen reagiert blitzartig und „überrumpelt“ das differenziertere Denken. Die starken Emotionen stammen aus dem Mandelkern (Amygdala), einem mandelförmigen neuronalen Gebilde oberhalb des Hirnstammes, nahe an der Unterseite des limbischen Ringes. Die zwei Mandelkerne (einer in jeder Gehirnhälfte) sind beim Menschen größer als bei unseren engsten evolutionären Verwandten, den anderen Primaten.

Hippocampus und Mandelkern waren die beiden entscheidenden Teile des primitiven „Riechhirns“, aus denen in der Evolution Kortex und Neokortex hervorgingen. Der Mandelkern ist Spezialist für Emotionen. Menschen denen die Amygdala operativ entfernt wurde können zwar Gespräche führen, die Wertigkeit einer Beziehung – selbst zur eigenen Mutter – wird aber nicht mehr gefühlt. „Der Mandelkern scheint als Speicher der emotionalen Erinnerung und damit der Sinngebung von Emotionen zu fungieren; … Am Mandelkern hängt nicht nur die Zuneigung – jegliche Leidenschaft hängt von ihm ab. Tiere, bei denen der Mandelkern entfernt (…) wurde, kennen weder Furcht noch Wut, verlieren den Antrieb für Wettbewerb und Kooperation und erkennen nicht mehr ihre Stellung innerhalb der sozialen Ordnung ihrer Art. …(Goleman, S. 33)

Wenn man sich dies vor Augen hält, könnte man angesichts mancher moderner Entwicklung die Frage stellen, ob wir heute zu einer Gesellschaft mutieren, die wieder in primitivere Verhaltensweisen regrediert, zur „Sibling Society“ wie es Robert Bly (1996) nennt, einer „Kindlichen Gesellschaft,“, die ihre Impulse nicht mehr beherrschen kann. Emotional intelligentes Verhalten wäre hingegen idealerweise reif und abgewogen, im Einklang mit sich und der Umwelt.

Was haben Emotionen und Intelligenz mit Führung zu tun?

„Führung ist zielbezogene Einflussnahme „ (Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 1988). Werden die jeweiligen Ziele, (meist durch die Organisation oder das Unternehmen vorgegeben) erreicht, so ist damit auch gleichzeitig der Erfolg (im Zusammenhang mit der Führungsaufgabe) definiert. Dennoch: Ziele können noch so genau definiert sein, die Unternehmensberatung kann noch so präzise Handlungsanleitung geben; immer wieder stellt sich bei Mitarbeiterbefragungen heraus, dass es vom Führenden abhängt, ob Dienst nach Vorschrift abgeleistet – oder engagiert und verantwortungsbewusst gearbeitet wird.

80 – 95% der Arbeitszeit verbringen Vorgesetzte mit Kommunikation. Fachkompetenz wird dabei als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Dafür hat man schließlich Jura oder Ingenieurswissenschaften studiert. Unterschiede im Führungserfolg ergeben sich aus der Fähigkeit Mitarbeiter zu motivieren – besser noch: zu begeistern. Es genügt nicht mehr aus irgendwelchen Zufällen heraus „Chef“ zu sein. Ein guter Studienabschluss reicht auch nicht mehr aus. Führungsqualitäten sind nicht so einfach einzugrenzen und zu definieren.

Hierzu ein Fall aus meiner Praxis:

In einer internationalen Handelsgesellschaft wurde ein Einser-Jurist eingestellt. Dieser hatte eine Hochschulkarriere ausgeschlagen um zu beweisen, dass er nicht nur auf der Universität hervorragende Leistungen erreichen kann. Der Ausflug ins Wirtschaftsleben endete mit einem Desaster: Durch seine akademische Arroganz machte er sich bei Kollegen und Geschäftspartnern unbeliebt. Trotz seiner brillanten juristischen Kenntnisse war er als Verhandlungspartner bei wichtigen Geschäftsabschlüssen nicht zu gebrauchen. Fachkompetenz allein ist keine Garantie für Führungskompetenz.. Vielleicht wäre ein Hochschulposten geeigneter gewesen. Vielleicht könnte die zur Schau getragene juristische Überlegenheit sogar auf Studenten motivierend wirken. Dann wäre er, so könnten wir weiter spekulieren, im Sinne dieser Führungsaufgabe sogar als erfolgreich einzustufen. – Im normalen Geschäftsleben reicht aber rein kognitive Überlegenheit nicht hin, um ernst genommen zu werden.

Ein weiterer Fall:

Eine junge Frau aus der Medienbranche kommt in meine Praxis um Ihre Depression behandeln zu lassen. Ich kannte sie schon aus ihrer Studentenzeit, auch damals hatte sie ein vorübergehendes Tief auf Grund einer unglücklichen Liebesgeschichte. Die Störung konnte schnell behoben werden.

Inzwischen waren sechs Jahre vergangen. Sie ist mit einem Kollegen

verheiratet und beruflich war sie bis vor kurzem sehr erfolgreich. Ihre aktuelle Depression ist schlimmer als alles was sie bisher erlebt hatte. Sie befürchtete ihre Ehe zu zerstören und ihren Job zu verlieren. Sie konnte nicht mehr arbeiten. Sie konnte aber auch auf ihren Mann nicht mehr eingehen. Einerseits klammerte sie sich an ihn – andererseits ließ sie sich gehen. Sie erwartete von ihm „Rettung“ von etwas, was sie selbst nicht kannte. Immer wieder versicherte sie mir, dass sie keinen Grund für Ihre Depression wüsste.

Dann bat ich ihren Mann um seine Meinung. Da er mit ihr eng zusammen arbeitete konnte er Grund und Zeitpunkt des Ausbruchs der Depression schnell benennen: Sie wurde vor drei Monaten für zwei Filme, die sie im Ausland gedreht hatte von ihrem Vorgesetzten und den Kollegen heftig kritisiert. Ihr Mann kannte diese „Rituale“ (wie er sie nannte) bereits und nahm sich die Sache nicht so sehr zu Herzen. Er wusste, dass die Kollegen selten Zeit hatten, einen Film anzuschauen. Wenn dies aber geschah, wurde bei allen hart kritisiert. Dabei ging es nicht immer sehr fair zu. Seine Frau aber, die mit den Gepflogenheiten ihrer Branche noch nicht so vertraut war, nahm die Sache persönlich und brach unter dem Ansturm der negativen Kommentare völlig zusammen.

Wir konnten uns darauf einigen, dass sie ein klärendes Gespräch mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten führt. Unmittelbar danach waren drei Monate Stagnation, Depression und Verzweiflung wie weggeblasen. Sie konnte wieder arbeiten und die Filme innerhalb eines einzigen Wochenendes fertigstellen.

Dieses Beispiel zeigt, in welchem Ausmaß Geld und Arbeitskraft durch Kränkungen am Arbeitsplatz verschwendet werden. Die meisten Führungsmodelle haben ein klares Konzept der Rationalität – dabei kommt die Emotion zu kurz. An dem oben dargestellten Beispiel ist dem Vorgesetzten vieles aus dem Ruder gelaufen. Erstens hat er seine sarkastischen Kommentare gar nicht so ernst genommen. Er bemerkte nicht einmal, dass er damit seine erfolgsverwöhnte Mitarbeiterin kränkte. Zweitens hat er verkannt, dass sie die Kritik unvorbereitet traf und auch nicht gewohnt war. Drittens konnte aber auch die Patientin ihre Gefühle nicht richtig deuten. Sie bemerkte nicht einmal, dass die Depression eine Folge der Kritik ihrer Kollegen und Vorgesetzten war. All diese Faktoren (und noch einige mehr) führten zu einem totalen Arbeitsausfall und einer persönlichen Krise der zweifellos fähigen jungen Frau.

Oft sind es gerade die Erfolgreichen, die sich Kritik sehr zu Herzen nehmen. Gerade sie sind ja besonders engagiert und versuchen gute Arbeit zu machen. Sie strengen sich über alle Maßen an. Weil sie aber so erfolgreich dastehen bekommen sie selten Lob und Anerkennung. Man denkt: „die wissen ohnehin, dass sie gut sind. Man muss es ihnen nicht auch noch sagen.“ Das ist ein großer Irrtum! Je höher die Position umso weniger Anerkennung bekommt man im Allgemeinen. Dies sollte bedacht werden, wenn man kritisiert. Selbstverständlich muss sachliche Kritik geäußert werden, wo etwas im Argen liegt, allerdings sollte sie in konstruktiver Weise erfolgen.

Um Ihnen den Kränkungsmechanismus zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen in

Anlehnung an Evelyn Kroschel ein Motivationsmodell vorstellen, das in eleganter Weise Führungsanforderungen mit emotionaler Intelligenz verbindet:

Jeder Mensch wird durch einige wenige Grundbedürfnisse mehr oder weniger gesteuert. Diese Grundmotive sind polar angeordnet, so dass immer ein Spannungsverhältnis besteht. Ich habe diese Grundmotive im Gegensatz zu Kroschel verkürzt auf das Bedürfnis nach Bindung (das sehr viele differenziertere Begriffe wie z.B. Liebe oder Loyalität mit umfasst) und im Gegensatz dazu – auf dem anderen Pol – das Bedürfnis nach Freiheit, worunter man auch wieder viele weitergehende Motive subsummieren kann, wie z.B. Autonomie, Individualität, aber auch Spiel und Spaß. Das zweite Hauptmotiv wäre Sicherheit und Besitz im Gegensatz zum Bedürfnis nach Neuigkeit und Leisten-wollen. Auch diesen beiden Hauptbegriffen sind viele ähnliche Motive zuzuordnen.

Die Spannung zwischen den Gegensätzen ist nie ganz aufzulösen. Idealerweise sollte man die Möglichkeit haben zwischen den Polen, etwa um die Mitte herum, etwas hin- und her zu wandern. Wir befinden uns – je nach Bedürfnislage – immer mehr auf der einen oder anderen Seite. Je nach Lebenskonzept und Entwicklungsstadium spielen bestimmte Motive eine stärkere Rolle als andere. So kann z.B. ein Mensch, der in der Kindheit Krieg und Enteignung erlebt hat, möglicherweise allzu sehr auf dem Sicherheitspol fixiert sein und dadurch neuen Entwicklungen äußerst misstrauisch gegenüber stehen. Er versucht möglichst jedes Risiko vermeiden, was zu Zwanghaftigkeit, Dogmatismus und Pedanterie führt. Andererseits wird er aber gerade seine Sicherheiten umso mehr riskieren, je weniger er Neuem gegenüber aufgeschlossen ist. Seine Besitztümer könnten sehr schnell an Wert verlieren, wenn er sich nicht genügend informiert. Dies gilt auch für das „Hergeben“ bzw. Leisten-wollen.  In Bezug auf das jeweilige Entwicklungsstadium wäre zu berücksichtigen, dass ein junger Mensch verständlicherweise gerade besondere Bedürfnisse hat, die dem Freiheitspol zuzuordnen sind. Emotional intelligente Personen erkennen solche Bedürfnisse und vermeiden nach Möglichkeit besondere Frustrationen auf diesem Gebiet. Allzu starke Fixierung auf einer Pol-Seite bringt andererseits immer eine Frustration des Gegenpols mit sich und es folgt eine unheilvolle Kränkungsspirale. Je mehr ein Partner klammert, umso mehr wünscht sich der andere Freiheit. Je rigider Eltern mit ihren Kindern umgehen, umso unverantwortlicher benehmen sie sich – usw.

Wenn unter Führung „zielbezogene Einflussnahme“ zu verstehen ist, dann stellt sich die Frage, wie man Ziele erreicht. Die Schlüsselqualifikation heißt „Soziale Kompetenz“. Welches konkrete Verhalten zeigt auf, ob jemand sozial kompetent ist?

Soziale Kompetenz setzt voraus, dass ich die psychischen Grundbedürfnisse meiner Mitarbeiter erkenne und so weit wie möglich berücksichtige. Menschen mit sozialer Kompetenz schreibt man „natürliche Autorität“ zu. Sie ist nicht angeboren sondern erlernt (vielleicht von einem Vorbild).

Natürliche Autorität beruht auf zwei Säulen

                      Mut                                                                               Fähigkeit

zum entschiedenen                                                              für andere ein

selbstverantwortlichen Handeln                                        „Bedürfnisbefriediger“ zu sein

Selbsterkenntnis, Achtsamkeit und                           Erkenntnis und Würdigung fremder

Akzeptanz einer gegenseitigen                                                 Wirklichkeiten

Abhängigkeit                                                               Kränkungsfreies Verhalten

Kognitive Intelligenz (IQ) entsteht durch den Aufbau einer Wissensstruktur; emotionale Intelligenz (EQ) durch den Aufbau „nährender Felder“ (Kroschel) für sich selbst und die Mitarbeiter; – und durch Sensibilisierung für „toxische Felder“ um sie nach Möglichkeit  zu vermeiden. Wenn eines der Grundmotive frustriert wird, löst dies eine Kränkung aus. Kränkungen sind nicht immer zu vermeiden. Eine Führungskraft muss aber wissen, welche Dynamik damit in Gang gesetzt wird. Dann kann sie auch manche –scheinbar irrationale – Reaktion besser verstehen:

Eine Kränkung löst gleichzeitig vier Reaktionen aus:

Blockade  –  Schmerz  –  Aggression  –  Scham.

Dabei läuft meistens nur ein Prozess bewusst ab. Am häufigsten ist die Blockade zu beobachten, wie im Fall der Filmregisseurin.

Bei der Blockade werden Assoziationen zu verdrängten ähnlichen früheren Erlebnissen hervorgerufen. Diese Verdrängung erfordert einen hohen psychischen Energieaufwand. Als Folge stellt sich eine Reduzierung der Reaktions- und Handlungsfähigkeit ein. (Am nächsten Tag fällt einem dann die schlagfertige Antwort ein. Dann ist es aber zu spät).

Wie jede körperliche Verletzung verursacht auch jede psychische Kränkung Schmerz. Wir sind aber durch unsere Erziehung für die psychischen Verletzungen eher desensibilisiert. (Indianer kennen hingegen keinen körperlichen Schmerz). Folge der Verdrängung sind Ängste, Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit, Depression, Zwänge, Süchte und Mitleidlosigkeit.

Scham geht mit Verlust der Selbstachtung einher. Angst vor Misserfolg, anstelle Erwartung auf Erfolg bestimmt das Handeln. Die Risiko- und Lernbereitschaft wird gehemmt. Neugier und Offenheit sind eingeschränkt. Konfliktfähigkeit nimmt ab. Intoleranz gegen sich selbst führt zur Unfähigkeit eigene Fehler oder Unwissenheit einzugestehen. Dadurch fehlt die Gelassenheit sich rechtzeitig Informationen und Hilfe zu beschaffen.

Die Aggression richtet sich entweder direkt gegen den Kränker als Rache, z.B. als Abwertung, oder man sucht sich dafür Verbündete. Intrigen werden angezettelt oder Forderungen und Wünsche sabotiert. Die Aggression kann sich aber auch gegen Unbeteiligte richten. (Der Herr schlägt den Hund und meint den Chef –oder brüllt die Kinder an – oder, (was besonders häufig vorkommt) er wird zum Horror-Autofahrer, für den jeder andere Verkehrsteilnehmer ein Vollidiot und was sonst noch alles ist). Damit wird bei diesen dieselbe Dynamik in Gang gesetzt.

Im Fall der Filmemacherin können wir alle Reaktionen sehr gut beobachten. Ihre Arbeitsunfähigkeit war u.a. auch eine Aggression gegen den Arbeitgeber. Die Depression eine gegen sich selbst gerichtete Aggression. Die Eheprobleme entstanden, weil sie die Aggression nicht direkt bei ihrem Vorgesetzten ausleben konnte und sie daher auf ihren Mann verschob, der ihr nichts mehr recht machen konnte usw. usw.

Wir können also schlussfolgern: Erstens muss ich wissen, dass es Grundbedürfnisse gibt und zweitens muss ich versuchen, meine Mitarbeiter hinsichtlich dieser Motivlage weitestgehend zu befriedigen. Ich muss also ein „Bedürfnisbefriediger“ sein. (Übrigens hat das jeder gute Verkäufer immer schon gewusst).

Wie erkenne ich nährende bzw. toxische Felder? Wenn ich mich schlecht fühle befinde ich mich in einem toxischen Feld. Aber ich muss es erst einmal wahrnehmen können. Das haben die meisten von uns bereits verlernt. Sie wurden dazu erzogen gut zu funktionieren und haben die Achtsamkeit auf die eigene Bedürfnis- und Befindlichkeitslage nicht mehr eingeübt.

In nährenden Feldern fühle ich mich sicher und geborgen. In toxischen Feldern hingegen ausgegrenzt oder im Stich gelassen. Nährend ist mein Umfeld wenn man mich wertschätzt und anerkennt. Toxisch hingegen bedeutet, dass ich mich klein und minderwertig fühle. Ebenso verhält es sich mit Vertrauen im Gegensatz zu Unsicherheit, Angst oder Einengung. Das Gefühl Einfluss nehmen, mitreden zu können ist wohltuend, bei Misstrauen oder Resignation ist die Atmosphäre vergiftet. Entscheidung vs. Ohnmacht, Faszination und Begeisterung lässt meine psychische Energie wachsen und führt zu Vitalität und Arbeitsfreude. Bei Überforderung hingegen fühle ich mich kraftlos, belastet, demotiviert, niedergeschlagen und krank. Es ist wichtig zu erkennen, ob das mich umgebende Feld – sei es im privaten oder im beruflichen Bereich – auf mich einen nährenden, d.h. belebenden Einfluss hat oder ob es mich schwächt und somit toxisch wirkt. Erfolgreiche Menschen erkennen im allgemeinen schneller als weniger erfolgreiche, wenn ihre Umgebung für sie schädlich ist. Sie versuchen dann entweder die Bedingungen zu ändern oder sie verlassen die für sie ungute Situation. Wichtig ist, dass sie sich nur so kurz wie möglich den ungünstigen Verhältnissen aussetzen. Sie entscheiden sich sehr schnell für eine positive Veränderung, während die weniger Erfolgreichen viel zu lange in einem toxischen Feld ausharren.

Als Vorgesetzter binden Sie Ihre Mitarbeiter an sich, indem Sie das Umfeld „nährend“ gestalten. Das Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ setzt voraus, dass man sich selbst überhaupt wahrnimmt und die eigenen Bedürfnisse liebevoll annimmt.

Erlauben Sie mir Ihnen eine kleine Anregung zur Selbsterfahrung vorzustellen. Ich möchte Sie dazu einladen zu erfühlen wie es Ihnen gerade geht:

Zunächst bitte ich Sie, sich zu sammeln und ganz auf sich und ihre körperliche Befindlichkeit zu konzentrieren. Versuchen Sie nicht zu analysieren, sondern achten Sie nur auf ihren Organismus. Dort gibt es eine wahrnehmende Instanz, die Ihnen signalisiert, ob Sie sich jetzt in angespannter oder angenehmer Stimmung befinden. Wenn Sie innerlich zur Ruhe gekommen sind, stellen Sie sich vor, dass Sie für kurze Zeit alle Belastungen, die Sie mit sich herumschleppen, vor sich abstellen. Bitte stellen Sie sich das bildlich genau vor. Sie sollen Ihren Problemen nicht davonlaufen und sie nicht verdrängen. Sie sollen nur fühlen wie es ist, wenn ein Lastenträger seine Last für eine kurze Ruhepause abstellt. Wie fühlt sich das körperlich an? Bitte beachten Sie nur ihr Körpergefühl. … Sie können sich dieses Gefühl merken, sich immer daran erinnern wie es ist, wenn man für einige Zeit befreit ist. … Sie haben nun Ihre Probleme vor sich stehen. Die Probleme sind nicht Sie selbst! Spüren Sie körperlich die Distanz zwischen Ihnen und Ihren Problemen. Sie können sie nun eines nach dem anderen genauer ansehen und mit dem nötigen inneren Abstand vielleicht auch bearbeiten. – Aber vorläufig atmen Sie tief durch und merken sich das Körpergefühl – sonst nichts! Sie werden Sich danach besser und erfrischt fühlen und spüren, was Achtsamkeit in der Praxis bedeutet.

 

Zitierte und weiterführende Literatur:

Bly, Robert: Die kindliche Gesellschaft. Kindler, München. 1997
Csikszentmihalyi, Mihaly: Optimal Experience. Cambridge University Press. 1988
Cube, Felix von: Besiege deinen Nächsten wie dich selbst.  Piper, München. 1988
Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz. Hanser, München. 1996
Hejj, Andreas: Traumpartner – Evolutionspsychologische Aspekte der Partnerwahl. Springer, Heidelberg, 1996.
Kroschel, Evelyn: Die Weisheit des Erfolges. Kösel, München. 1996
Peters, Thomas, J. and Waterman, Robert H. Jr.: In Search of Excellence. Harper & Row, New York. 1982
Rosenstiel, Lutz von, Regnet, Erika, Domsch, Michael (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern. Schäfer-Poeschel, Stuttgart. 1995
Schoch, Anna: Perspektiven für erwachsene Männer. Orell Füssli, Zürich 1997
Schoch, Anna: Perspektiven für erwachsene Paare. Orell Füssli, Zürich, 1998