Symbole und Traum

Zusammenfassung:

Vor dem Hintergrund der Traumtheorie C. G. Jungs werden Initialträume und eine Traumserie mit prognostischem Inhalt besprochen.

Die jeweiligen Symbole, deren Sinn erst post festum richtig gedeutet werden konnten, werfen die Frage auf, ob bestimmte Träume die Zukunft konstellieren.

Sigmund Freud kommt das unschätzbare Verdienst zu, Träume als Forschungsgegen-stand in die Wissenschaft eingeführt zu haben. Bei seinem jüngeren Kollegen Carl Gustav Jung rief er damit zunächst Begeisterung hervor, später jedoch kam es wegen des zu engen theoretischen Konzepts zum Bruch mit Freud. Jung bestand darauf, dass das Unbewusste nicht nur aus individueller Erfahrung sondern auch aus kollektiven Inhalten, die dem Menschen à priori mitgegeben sind, besteht. Aus dieser Sphäre des sowohl individuellen wie auch kollektiven Unbewussten stammen die Träume und ihre Symbole.

Das kollektive Unbewusste umfasst mehr „Wissen“ als nur persönlich erworbene Erfahrungen. Menschen weisen zu verschiedensten Zeiten und in verschiedenen Kulturen eine gleichartige Manifestation der Grundstruktur bestimmter psychischer Funktionskomplexe auf. Die Bilder sind zwar der umgebenden Kultur entlehnt, gleichwohl handelt es sich immer um ähnliche Inhalte (Archetypen), z.B. um den Kampf des Helden mit der Riesenschlange, der Sphinx oder dem Drachen, kurz mit den Naturgewalten. Tiefenpsychologisch bedeutet dies den Kampf des Ich um das Bewusstsein. Wie in Mythen, Märchen und in der Kunst werden diese Bilder auch im Traum und in der Phantasiebildung der modernen Menschen benutzt (Superman, James Bond, der Detektiv oder Kommissar etc.).

Jungs Konzept, außer der persönlichen und dem Zeitgeist entlehnten Sphäre ein vorstrukturiertes kollektives Unbewusstes anzunehmen, hat praktische Konsequenzen. Da das kollektive Unbewusste einen autonomen Funktionskomplex darstellt, sind darin wie in einem Samenkorn die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten bereits vorgegeben. Jungs Interesse gilt diesen Entwicklungsmöglichkeiten, die dem Bewusstsein (meist über Trauminhalte) vom Unbewussten angeboten werden.

Wenn man sich auf diese Theorie einlässt, wird Psyche zum Objektiv, zur Realität, mit der man umgehen können sollte. Die innere psychische und die äußere Welt sind bei dieser Betrachtungsweise gleichwertig. Unbewusste Äußerungen im Traum werden dann nicht als Reaktion auf äußere Reize verstanden, sondern als Botschaften einer autonomen inneren Welt, die allerdings zum Bewusstsein Verbindungen hat.

Die Anekdote eines chinesischen Weisen deutet auf die Gleichwertigkeit von Tag- und Nachtbewusstsein hin, in der wir je die Hälfte unseres Lebens verbringen:

„Heute Nacht träumte ich, ich sei ein Schmetterling und flöge auf einer Wiese voller Blumen. Nun, da ich aufgewacht bin, weiß ich nicht recht, bin ich nun ein Mensch, der geträumt hat ein Schmetterling zu sein, oder bin ich ein Schmetterling der jetzt träumt ein Mensch zu sein?“

Jung war der erste Psychologe, der zur Beantwortung dieser Fragen bereits vor mehr als fünfzig Jahren bei Nachbarwissenschaften nach Antworten gesucht und intensiven Austausch gepflegt hat. (Briefwechsel mit Nobelpreisträger W. Pauli von 1932-1958).

Vor diesem nur stichwortartig dargestellten Hintergrund möchte ich über eine beeindruckende Traumserie mit prognostischem Inhalt berichten. Die jeweiligen Symbole, deren Sinn erst post festum richtig gedeutet werden konnte, werfen die Frage auf, ob bestimmte Träume die Zukunft konstellieren oder ob die Träume aus einem „Wissen“ stammen, in dem die Zeit aufgehoben ist: Es stellt sich die Frage, auf welcher energetischen Ebene Botschaften aus dem kollektiven Unbewussten über Träume zum Bewusstsein vordringen; – und weshalb gerade dieser „Eintrag“ zu diesem Zeitpunkt aktiviert wurde. Eine Antwort könnte vielleicht lauten: Weil die Träumerin auf kommende Ereignisse von großer emotionaler Bedeutung vorbereitet werden sollte. (Lottozahlen werden bekanntlich nicht geträumt. Geld scheint der Seele nicht so wichtig zu sein, wohl aber dem Bewusstsein.)

Es handelte sich um eine Journalistin, Mitte vierzig, die im Begriff stand, mit einem gleichaltrigen Mann eine Ehe einzugehen. Aufgrund von beruflich notwendigen Auslandsaufenthalten waren beide häufig getrennt und führten eine sogenannte Wochenendbeziehung. Gemeinsames Domizil war vorübergehend ein Ferienhaus in Österreichs Bergen. In Kürze wollten sie ihre beruflichen Aktivitäten so koordinieren, dass sie in Deutschland Wohnsitz nehmen konnten. Im August des entscheidenden Jahres hatte die Frau plötzlich das Gefühl ein Tagebuch anlegen zu müssen, um ihre Träume und Erlebnisse aufzuschreiben. Bis dahin hatte sie noch nie einen derartigen Impuls verspürt.

Am 30. September hatte sie den ersten Traum, den sie wie folgt notierte:

A. steht im Fenster und sagt: „Ich springe jetzt!“ Sie denkt im Traum: Das hat er schon oft gesagt. Es passiert ohnehin nichts. Dann sagt sie ärgerlich: `Ich kann es nicht verhindern, wenn Du springen willst.´ Er springt. Sie denkt: das ist nur Spaß! Und sieht ihn vom Fenster aus unten leblos auf dem Rasen liegen. Sie will das immer noch nicht glauben, geht hin und muss tatsächlich seinen Tod feststellen. Sie glaubt es immer noch nicht.

Die Träumerin war zu diesem Zeitpunkt besorgt, weil beide ein hektisches Leben führten und sehr viel im Auto unterwegs waren. Sie interpretierte diesen Traum als Reaktion auf diese Ängste.

Vier Wochen später, am 31. Oktober, schrieb sie folgenden Traum auf:

Sie sitzt mit A. im Frühstücksraum eines Hotels, zusammen mit anderen Gästen. Er reicht ihr über den Tisch ein Etui in dem sich ein herrlicher Ring aus lauter Diamant-Navettes befindet. (Navettes sind oval-spitz-zulaufend geschnittene Diamanten. Wörtlich übersetzt bedeuten sie „Schiffchen“, sie erinnern aber in ihrer Form auch an Blätter). Sie denkt (im Traum): das ist ja unglaublich, dass er mir so kostbaren Schmuck schenkt. Bei ihrer sportlichen Lebensweise hätte er ihr normalerweise sicher nur an ein praktisches, unromantisches Geschenk gemacht. Plötzlich verwandelt sich der Diamantring in einen weißen Kranz….“

Diesen Traum versteht sie nicht. Sie wundert sich nur über den „Luxus“.

Am 30. November notiert sie wieder einen Traum. Sie führt ihn darauf zurück, dass er ärgerlich war, weil sie das Ferienhaus winterfest machen, und erst im Frühjahr wiederkommen wollte. Sie befürchtete einen plötzlichen Wintereinbruch und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Darüber stellte sich eine leichte Verstimmung zwischen dem Paar ein:

Sie befindet sich in einer ganz bestimmten Klinik, die sie namentlich kannte, in der Stadt, in der sie in Kürze ihren Wohnsitz nehmen wollten. Ihr Lebensgefährte liegt dort auf der Intensiv-Station und wird künstlich beatmet. Ein Team von Ärzten steht schemenhaft herum und ihre Stimmen sagen: “A. stirbt.“ Daraufhin fragt sie verzweifelt: „Kann man denn da gar nichts machen?“ „Nein, er stirbt!“ war die Antwort. Sie blickte in Richtung seines Heimatlandes und sagte zu sich: „Jetzt bin ich wieder allein.“

Auch diesen Traum fasste sie nicht als bedrohlich auf. Sie notierte ihn zwar, dachte aber psychologisierend, das sei die Reaktion auf den Dissens vom Wochenende. Irgendwo hatte sie einmal gelesen, dass man den Tod nur symbolisiert im Traum wahrnimmt, niemals als wirkliche Sterbeszene.

Die Verstimmung wich dann auch wieder. Es herrschte sogar ein besonders gutes Einverständnis in den folgenden vier Dezemberwochen.

Dann bekam er eine scheinbar harmlose Erkältung, die ihn aber nicht von seinen Geschäftsterminen in Italien und Norddeutschland abhielt. Zwischendurch traf sich das Paar für einige Tage oder Stunden. Seine Erkältung weitete sich zu einer Nebenhöhlenvereiterung aus. Er trat gegen den Rat seines Arztes eine weitere Geschäftsreise an. Danach war eine Sylvesterfeier geplant, die am neuen Wohnsitz stattfinden sollte. Am 30. Dezember kam er spät Nachts nach langer Autofahrt dort an. Er befand sich in euphorischer, geradezu manischer Stimmung, freute sich, trank Wein… bekam Schüttelfrost. Seine Temperatur am frühen Morgen: 40,5 Grad.

Der Notarzt wies ihn ins Krankenhaus ein. Als die herbeigerufenen Sanitäter über die Rettungsleitstelle nach einigem Funkverkehr die Anweisung bekamen genau jenes Krankenhaus anzufahren, von dem sie bereits geträumt hatte, wurde der Rest der Ereignisse nur noch zum Déja-vu-Erlebnis. Wenige Stunden später stand sie am Bett der Intensiv-Station. Die Ärzte antworteten, als sie – so wie im Traum – die Frage stellte: „Wir können nichts mehr tun. Er stirbt uns unter den Händen weg.“

Der Träumerin wurde erst im Nachhinein, während ihrer Trauerzeit, in der sie ihr Tagebuch las, bewusst, dass sie seit drei Monaten deutliche Hinweise auf die drohende Gefahr erhalten hatte. Jetzt erkannte sie, dass das jeweilige Monatsende eine Analogie für den Jahreswechsel war, an dem sich das Unheil vollendete.

Nun kann man aus dieser Traumserie viele Symbole ausfiltern, die aber nicht verstanden wurden, bis die Psyche den ganz und gar unverhüllten Sachverhalt (im dritten Traum) zum Bewusstsein brachte, der aber dann als Symbol umgedeutet wurde. (Jung weist darauf hin, dass ein Symbol, das „verstanden“ wird, seinen Symbolcharakter verliert und lediglich zum Zeichen wird).

Ob der Lauf der Dinge bei richtiger Interpretation der Träume zu verhindern gewesen wäre, bleibt dahingestellt.

Zu den Symbolen im ersten Traum: Der Rasen und die umgebenden Büsche deuten ziemlich unverhüllt auf den „Rasen, der uns alle einmal deckt“ hin. Auch der „Garten“. Das Fenster aus dem er springt erinnert an die Redewendung: „Weg vom Fenster“, die aus dem Ruhrgebiet stammt, aus einer Zeit da die Leute noch täglich im Fenster lehnten und dem Treiben auf der Straße zusahen. Wer dort nicht mehr gesehen wurde war gestorben.

Das Symbol im zweiten Traum, der weiße Ring mit den Navettes, den Schiffchen, (Totenschiffchen) bzw. gleichzeitig „Kranz“, ist ebenfalls sehr beziehungsreich.

Beim dritten Traum war eigentlich nur der Name des Krankenhauses unglaubwürdig, denn bei Tageslicht betrachtet wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass der Patient in genau dieses Krankenhaus eingeliefert worden wäre. Er wäre ins „Spital“ (Österreich) gekommen, wenn es sich um den Ausdruck einer rational begründeten Sorge gehandelt hätte.

C.G. Jung wies darauf hin, dass Träume eine prognostische Bedeutung haben können. Er spricht davon, dass es vor Therapiebeginn häufig einen „Initialtraum“ gibt, der den weiteren Verlauf der Therapie vorwegnimmt. Solche Initialträume gibt es auch bei wichtigen Begegnungen, die für die persönliche Entwicklung von Bedeutung sind.

In diesem Zusammenhang kann ich über eine eigene Traumerfahrung berichten:

Ein Familienmitglied war schwer erkrankt. Dies war die Wiederholung eines Leidens, das etwa neun Jahre vorher nach einer dramatischen Operation überstanden zu sein schien. Diesmal war nach Auskunft der Ärzte eine Rettung aussichtslos. Wir alle waren sehr bedrückt, als der Patient am Wochenende zum Sterben nach Hause geschickt wurde, weitere Interventionen wurden abgelehnt. Jeder versuchte auf seine Weise mit der heillosen Situation zurecht zu kommen. Hilflos zündete ich eine Kerze an. In der Nacht hatte ich folgenden Traum:

„B. lag zum wiederholten (?) Male tot da. Es kamen einige Leute, um ihn zu reanimieren. Dies sollte so vor sich gehen, dass er zusammen mit einem Lebensretter in einen Sarg gelegt werden sollte. Ich protestierte: „Das kann man nicht machen! Nun hat er schon so oft dem Tod ins Auge geblickt. Wenn er aufwacht und den Sarg sieht, … das ist ja entsetzlich!“ Ein Sarg wurde herangefahren. Er hatte einen aufklappbaren Deckel, ähnlich einer antiken Schreibkommode. Die Prozedur wurde durchgeführt. Der Tote bäumte sich auf. Er riss die Augen auf. In seinem Gesicht stand ein unsägliches Grauen. Ich fing an zu lachen und lachte und lachte und laut lachend erwachte ich. …“

Dieses Lachen empfand ich als äußerst unpassend und konnte es mir nicht erklären. Dennoch blieb mir die heitere Stimmung den ganzen Tag erhalten. Der Spruch: „Totgesagte leben länger!“ hat sich bewahrheitet: Der Totgesagte erfreut sich heute (nach zwei Jahren) immer noch seines Lebens und geht seinen Geschäften, mit beeindruckender Energie nach. Ich weiß immer noch nicht, warum ich im Traum – und sogar über die Schwelle ins Bewusstsein hinein – so sehr lachen musste, ich weiß nur, dass die monatelange Bedrückung einem befreienden Lachen wich, obwohl der manifeste Trauminhalt dazu keinen Anlass geben konnte. Ein tieferes „Wissen“ (aus dem kollektiven Unbewussten?) hat wohl dieses Lachen hervorgerufen. Ich glaube jedenfalls, dass unser Patient außer Gefahr ist, … zumindest bis zum nächsten Traum.

 

Literatur:

Jung CG (1991) Seminare Traumanalyse. Nach Aufzeichnungen des Seminars 1928-1930. Walter-Verlag, Olten
Meier CA (Hrsg) (1992) Ein Briefwechsel 1932-1958/Wolfgang Pauli und C.G. Jung. Springer, Berlin Heidelberg
Siebenthal von W (1953, 1984) Die Wissenschaft vom Traum. Springer, Berlin Heidelberg