Leiden – Pathos – Ausdruck: König Ludwig II von Bayern

Anna Schoch

Ludwig II beschäftigt die Gemüter immer noch – insbesondere in Bayern. Wie ist es möglich, dass ein geistig verwirrter König, gerade heute, in Zeiten der Freiheit von jeglicher religiöser oder monarchistischer Bevormundung, unverändertes Interesse weckt?

Von Bayern wird immer wieder kolportiert, dass das Land den Kini wieder haben wolle. Dieser ironisch vorgebrachte Wunsch wird und wurde von den scheinbar ver­nünftigen meinungsbildenden Medien aus dem Norden gerne gegen eine so ge­nannte ›Bayerntümelei‹ eingesetzt. Dies betrifft alles was bayrisch-identitäts­stiftend und volksverbunden ist: Trachtenvereine, Kirche, CSU, Franz Joseph Strauss, Bayern Partei usw. („In Bayern gehen die Uhren anders“, titelte der SPIEGEL).

In Wirklichkeit geht es immer wieder – bis in unsere Tage − um die Frage: Bundesstaat oder Staatenbund? Eine Frage, die seit Bismarck und seiner Reichs­gründung (zumindest für Bayern) nie zufriedenstellend gelöst wurde. Der er­zwungene Kaiserbrief, mit dem Ludwig II dem Preußenkönig Wilhelm die Kaiser­würde antragen musste, war ihm ein Gräuel, aber unabdingbar, um wenigstens Teile der Souveränität Bayerns zu retten. − Ein Konflikt der auch heute, in Zeiten von Europa, höchst brisant ist. Die Brexit-Bestrebungen legen davon ein lebhaftes Zeug­nis ab.

Ludwig II war ja alles andere als ›…tümlich‹. Er war König durch und durch. An­hänger und Verehrer von Louis XIV, dem Sonnenkönig, der Ikone des Absolutismus − und er galt als geisteskrank. War er tatsächlich nicht mehr Herr seiner Sinne, un­fähig zu regieren? Vielleicht war er depressiv, aber er war durchaus in der Lage, die politischen Vorgänge zu beurteilen und zu durchschauen. Er hat auch seine Regierungspflichten bis zur letzten Stunde pflichtgemäß erledigt. In vielerlei Hin­sicht war er weit gebildeter als seine Minister, intellektuell seiner Zeit weit voraus. Allein seine seine Kenntnis der neuesten technischen Entwicklungen war enorm. Es wird kaum mit seiner Persönlichkeit verbunden oder gewürdigt, dass er das Poly­technikum gegründet hat. Heute gehört es als Technische [Elite-]Universität zu Mün­chens Vorzeigeinstitutionen.

Wurde Ludwig im Auftrag Bismarcks ermordet, bestochen?

Wurde mit dem Gutachten des ›Irrenarztes‹ von Gudden ein Staatsstreich ge­plant?

Hat sich Ministerpräsident von Lutz mit dem späteren Prinzregenten Luitpold (Ludwigs Onkel) abgesprochen, indem er sich versichern ließ, dass er seinen 210

Ministerpräsidenten-Sessel behalten würde, wenn Ludwig abgesetzt wird? Immer­hin war es bezeichnend, dass sich der Sohn des Prinzregenten (der Millibauer) zum König ausrufen ließ, in einer Zeit, als der formelle Nachfolger Ludwigs, sein Bruder König Otto, in tiefer geistiger Verwirrung in Schloss Fürstenried noch drei Jahre lebte. Ein Zeichen dafür, dass die Seitenlinie kaum erwarten konnte, endlich selbst ›König‹ zu sein.

Hat Ludwig II Professor von Gudden absichtlich getötet?

Wollte er fliehen?

Wollte er sich durch Ertrinken umbringen?

Wurde er erschossen, weil er nach seiner Gefangennahme auf Neuschwanstein und der anschließenden Festsetzung in Schloss Berg unter keinen Umständen mehr mit irgendeiner Person ›draußen‹ Kontakt aufnehmen durfte?

Hat ihm seine Cousine Elisabeth von Österreich tatsächlich zwei Kutschen zur Flucht in Leoni bereitgestellt? Die Kutschenspuren sind verbürgt.

»Ein ewiges Rätsel will ich bleiben mir und den anderen«, schrieb Ludwig an die Schauspielerin Marie Dahn-Hausmann am 25. April 1876. (Sie hatte Beatrice in Schillers Die Braut von Messina im Kgl. Hoftheater gespielt und Ludwig in dieser Rolle tief beeindruckt.)

Woran hat Ludwig II gelitten?

Sicher an Geldmangel! Geld gab es nie genug, um seine Leidenschaft zu finan­zieren: vollkommen zweckfreie − für die damalige Zeit unerhört luxuriöse − Pracht­bauten. Ludwig II setzte sich Denkmäler, ein Relikt aus Zeiten des Absolutismus, in denen der Herrscher seine Macht in repräsentativen Schlössern demonstrierte. Damit konkurrierten die Herrscher mit den Kirchenbauten, die zur höheren Ehre Gottes allen Prunk auf sich vereinigen durften. Der absolutistische Herrscher stellte sich mit seinen luxuriösen Profanbauten neben Gott, denn er war ja ›Herrscher von Got­tes Gnaden‹. Die Verschwendung war damit ebenso beeindruckend und gerecht­fertigt, wie die bei den Sakralbauten. Aber es sei darauf hingewiesen, dass dieser Luxus nur dem König zustand. (Eine erhellende Anekdote aus Zeiten Louis XIV ist das berühmte Schloss Vaux-le-Vicomte, das der damalige Finanzminister Nicolas Fou­quet 1661 derart prunkvoll ausgestattet hatte und mit einem Fest zu Ehren des Königs so üppig eröffnete, dass ihn der König drei Wochen nach der Feier verhaften ließ, mit der Begründung, er hätte Staatsgelder veruntreut. Dies scheint plausibel angesichts der ungeheuren Verschwendung. Allerdings verbreitete sich danach Ge­rücht, der König habe aus Neid gehandelt.) Ludwig baute seine Schlösser nicht für Staatsempfänge, und noch weniger um seine Macht zu demonstrieren, sondern nur für sich selbst, um seiner romantischen Innenwelt eine reale Basis zu verleihen.

Woran also litt Ludwig II, der in einer weitgehend aufgeklärten Zeit, 200 Jahre später, den Rückgriff auf sein Idol Louis XIV vornahm, und die später dar­auf folgende blutige Revolution mit ihren Folgen negierte? 211

Ludwig II schwärmte aber nicht nur für Louis XIV, sondern auch für das Rittertum des Mittelalters und für die germanischen Sagen. Schon als Kind regten ihn die Wandgemälde im elterlichen Schloss Hohenschwangau zu Träumereien an, deren Interpretation durch das Gesamtkunstwerk Richard Wagners und seiner betörenden Musik beflügelt wurde.

Was bedeutete das alles für Ludwig II?

Louis XIV konnte sich (scheinbar) alles erlauben. «L‘état c’est moi!» kann man als Zusammenfassung des Absolutismus begreifen. Damit ist eine Selbstermächtigung postuliert, die Ludwig gerne auch für sich in Anspruch genommen hätte. Vielleicht sogar: «La loi c’est moi!»?1

1 «L‘état c’est moi!» = Der Staat bin Ich!; «La loi c’est moi!» = Das Gesetz bin Ich. Die Staatsregierung hätte dem König einen Ausweg aus seinen Geldnöten ermöglicht, wenn er dafür auf seine Prärogativrechte – den Erlass von Gesetzen und der Auflösung des Parlaments etc. − verzichtet hätte. Das aber konnte und wollte er mit seiner Königswürde nicht vereinbaren.

Ludwig hatte aufgrund seiner Homosexualität einen Triebkonflikt (im 19. Jahr­hundert eine unaussprechliche, unerhörte Veranlagung!). Er war gläubiger Katholik und wusste genau, dass er sich als König mehr erlauben konnte als ein gewöhnlicher Bürger, aber er lebte in einer konstitutionellen Monarchie, die ihn einschränkte. Überdies blieb er in seinen eigenen ästhetischen und moralischen Ansprüchen total gefangen. Dabei war die besondere Crux, dass die ›Spinnereien‹ des Königs manchen Ministern sehr entgegen kamen; konnten sie doch auf diese Weise relativ unan­gefochten ihre eigenen Ziele verfolgen und hatten keine besondere Einmischung von höchster Stelle zu befürchten.

Ludwig sehnte sich nach der Erfüllung seiner homosexuellen Bedürfnisse. Er hätte dafür eine Befreiung von seinen moralischen Ansprüchen an sich selbst ge­braucht. Diese waren Zeiten, in denen Onanie als Ausgeburt von teuflisch-abartigen Einflüssen galt, mit Folgen, die besonders in klerikalen Kreisen in Grauen erregenden Bildern beschrieben wurden, völlig unmöglich. Es wurden die schlimmsten körper­lichen Verfallserscheinungen als abschreckendes Beispiel herangezogen. Ludwig konnte an der Erkrankung seines von ihm geliebten jüngeren Bruders Otto die an­geblichen Folgen ›solchen Verfalls‹ aus nächster Nähe beobachten. Dieses Leiden stand ihm immer vor Augen. Insbesondere auch die Schläge und Demütigungen durch die Pfleger, die damals auch vor königlichem Blut nicht Halt machten.

Solche Räubermärchen werden übrigens noch bis in die heutige Zeit verbreitet. Es ist noch nicht lange her, da genügte schon der Verdacht auf Homosexualität, um z.B. 1984 den 4-Sterne-General Günter Kießling aus der Bundeswehr zu entfernen und ihn öffentlich bloß zu stellen. Dass er später, nach Entkräftung der Vorwürfe, wieder in die Bundeswehr aufgenommen und schließlich ehrenhaft entlassen wurde, war der Presse weniger Schlagzeilen wert. Das so genannte Outing bei Fußball­spielern ist in den Boulevardblättern auch in unseren Tagen noch eine Sensation und dicke Schlagzeilen wert. 212

Schon König Ludwig I, der Großvater und Taufpate, musste viel Spott und Häme wegen seiner Bauwut einstecken, obwohl er das verarmte Bayern wirtschaftlich wieder in Ordnung gebracht hatte.

Ich will aus München eine Stadt machen, die Teutschland so zur Ehre ge­reichen soll, dass keiner Teutschland kennt, wenn er nicht München ge­sehen hat (BR, 2011).

Noch schlimmer traf ihn der Unmut der Bevölkerung wegen seiner Affaire mit Lola Montez. Er trat schließlich zu Gunsten seines Sohnes Maximilian II zurück. Bei sei­nem Enkel Ludwig wurde die Beziehung zu Richard Wagner mit der Affäre Montez verglichen. Wagner wurde aus seinem Umfeld entfernt.

König Maximilian II, Ludwigs Vater, wäre nach eigener Aussage lieber Professor geworden als König. Er holte verdiente Professoren aus Norddeutschland an die Münchner Universität, um sich beraten zu lassen. Sie belebten Münchens Geistes­leben. Mit seiner Stiftung Maximilianeum förderte er besonders begabte Studenten. Im Alter von 52 Jahren starb er. Und so wurde Ludwig II mit 18 Jahren − viel zu jung − König. Trotz hervorragender Bildung, aber noch ungefestigter Persönlichkeit, z.B. auch weil er noch nicht verheiratet war, war er leicht den Einflüssen interes­sierter Hofschranzen ausgesetzt. Er konnte in diesem Alter noch nicht die Stärke aufbringen, sich angemessen aller an ihn herangetragenen Ansinnen zu erwehren; schließlich lebte er ja nicht mehr in Zeiten des Absolutismus.

Dies erklärt auch den großen Einfluss, den Richard Wagner auf ihn ausüben konnte. Der junge König verehrte ihn schwärmerisch. Wagner nutzte die königliche Zuneigung schamlos aus und enttäuschte ihn zudem persönlich. Als seine Affäre mit Cosima von Bülow und ihre Schwangerschaft schon Stadtgespräch waren, belog er den König, als er ihn auf die Gerüchte ansprach. Richard Wagner hätte seinen Gön­ner und Förderer schützen müssen! Stattdessen benutzte der Ausnahmekünstler Ludwig, für seine eigenen Interessen.

Ludwigs Menschenscheu ist sehr gut nachvollziehbar. Seine beeindruckende Größe, seine Schönheit im jugendlichen Alter, seine Sensibilität, Intelligenz und geistige Überlegenheit machten ihn verletzlich. Er durchschaute die Liebedienerei der Minister und litt unter ihrer Falschheit. Er fand in seiner Entourage kaum einen Menschen, dem er sich anvertrauen konnte. (Einer der wenigen Ausnahmen war Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern. Ihm schickte er den letzten persönlichen Brief, in dem er ihn bat, sich doch in München umzuhören, was gegen ihn im Gange sei. – Eine Antwort erhielt er nicht mehr, da sich dann die Ereignisse überstürzten.)2

2 Anm. d. Verf.: Mein Vater, Dr. med. et Dr. rer. nat. Erhard Otto Schoch (1895-1974) war bis zu dessen Tod Leibarzt seiner Kgl. Hoheit, Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern und Infant von Spanien (1859- 1949). Man kann sagen, dass ein sehr vertrautes, fast familiäres Verhältnis zwischen den beiden bestand. Es verstärkte sich, als mein Vater im Widerstand gegen die NS-Diktatur sein Leben riskier­te (z. B. in der Freiheitsaktion Bayern; s.a. Diem, 2013) und damit völlig im Einklang mit Ludwig Ferdinand war. Ich begleitete als Kind meinen Vater fast täglich bei seiner Visite im Schloss Nym­phenburg (ich erinnere mich vorwiegend an die Zeit etwa zwischen 1944 bis 1949). Ich kannte auch noch seine liebenswürdige Frau, Maria de la Paz, Infantin von Spanien. Gefühlt war Ludwig Ferdi­nand für mich wie ein Großvater. Kinder haben keine besondere Scheu vor bedeutenden Persönlich­keiten. Ludwig Ferdinands Tochter, Prinzessin Pilar von Bayern, war Firmpatin meiner Schwester 213

Ludwig II zog sich immer mehr in seine romantische Welt zurück. Es fehlte ein Korrektiv, ein Freund, ein Vertrauter, von dem er sich hätte verstanden fühlen kön­nen. Richard Wagner wäre einer der wenigen gewesen, die ihm etwas mehr Realitäts­bewusstsein hätten vermitteln können. Im eigenen Interesse aber bestärkte er die Träumereien. Er ermahnte den König erst zu etwas mehr Realitätssinn, als es zu spät war und dies nur, weil er befürchten musste, dass seine Pfründe in Gefahr waren. Wagner hatte später selbst bekundet, dass er sich in Wort und Schrift ganz und gar auf den schwärmerischen Ton des Königs eingeschwungen hatte und ihm damit vor­gaukelte, er dächte und fühlte mit ihm. Die Briefe, die er mit Ludwig austauschte, erinnerten eher an ein schwer verliebtes Paar, als an einen Schriftwechsel zwischen Männern.

Ludwig war aber nicht nur Schwärmer, er hatte große politische Sorgen. Er muss­te mit ansehen, wie Bismarck versuchte, sich Bayern einzuverleiben. Es ging um den Fortbestand seines Landes. Nach dem verlorenen Krieg von 1866 (zweiter Einigungs­krieg) in dem Bayern noch auf der Seite Österreichs im Deutschen Bund gegen Preußen und seine Verbündeten gekämpft und verloren hatte, musste er sich in der dritten Auseinandersetzung entscheiden, ob er sich mit Preußen oder Frankreich verbünden solle. Es ging um die bayrische Souveränität, die Unabhängigkeit und um den Kaiserbrief, mit dem Ludwig II sein Land dem preußischen König/Kaiser unter­werfen sollte.

Dieser Konflikt, der Ludwig buchstäblich aufs Krankenbett warf, war ihm un­erträglich. »Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein…« schrieb er an Wag­ner. Ludwig II schickte seinen Bruder Otto nach Versailles zu der unsäglichen Kaiser­krönung. Dieser berichtete ihm auch entsprechend angewidert von dem großtuerischen Preußen und den Ergebenheitsadressen der anwesenden Fürsten an den preußischen Kaiser Wilhelm I.

Geldfragen sind Machtfragen. Ludwig litt unter seiner Geld-Machtlosigkeit. Die Bismarckschen Zahlungen aus dem Welfenfonds bzw. Reptilienfonds waren ihm ein geringer Trost. Sie fielen nicht in der versprochenen Höhe aus, sondern wurden in Raten von 300.000 Mark ausgezahlt. Graf Max von Holnstein, der Ludwigs Ent­mündigung hinter seinem Rücken betrieb, trat für diese Übereinkunft als Vermittler auf. Er kassierte von jeder Rate 10%. Die letzte erreichte Ludwig nicht mehr. Sie verschwand spurlos. Graf Werthern, der preußische Botschafter in München, be­merkte gegenüber Bismarck

Holnstein muss irgendeine wunderliche Sache des Königs wissen und diese als Waffe benutzen – der König liebt ihn nicht mehr und gehorcht ihm doch.3

Vater hat dies kurz vor seinem Tod noch einmal meiner Schwester gegenüber hervorgehoben. Er sprach sonst nur in Andeutungen über die Tragödie, da er sich durch das Arztgeheimnis gebunden fühlte; aber die tödlichen Schüsse waren damals kein besonderes Geheimnis. Sonja. Dass Ludwig unbeabsichtigt erschossen wurde, stand in diesem Umfeld außer Frage. Mein

3 Brief von Prinz Eulenberg an Herbert von Bismarck vom 26. August 1882 (von See, 2001, 135).214

Seitdem die Zahlungen und deren Umstände bekannt geworden waren, wird darüber gestritten, ob dem Kaiserbrief … mit Bezug auf die Reichs­gründung eine Bestechung voranging, ob es sich um Dotationen an einen weichenden Souverän handelte, oder aber … das Werk von Bestechungs­geldern verrichteten (Pflanze, 1997, 503).

Dabei wird übersehen, dass Bayern wenige Jahre zuvor an Preußen 30 Millionen Gulden als Reparationen zahlen musste. Es ging aber nicht darum, ob die Reichs­gründung letztendlich durch Bismarcks Bestechung ›geschmiert‹ wurde, sondern dass Ludwig dafür entschädigt wurde, dass er auf seine Souveränität verzichtete – wenn auch nicht freiwillig. Es war aber bis ins 19. Jahrhundert üblich, dass dafür eine Entschädigung gezahlt wurde. Für Ludwig fiel sie ohnehin vergleichsweise mager aus. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Bismarck diese Zahlungen dem preußischen König verschwieg. Die Einigung mit Graf Holnstein er­folgte unter höchster Geheimhaltung.

Ludwig floh vor der Realität und steigerte seine Bau-Sucht im gleichen Verhält­nis zu seiner geschwundenen Macht. Seine Todessehnsucht wurde immer größer. Die Pathetik seiner Schlossbauten ist das anschauliche und bleibende Denkmal seines Leidens. Die Liebe des Volkes und die fragwürdigen Umstände seines Todes lassen Bayern bis heute nicht ruhen. Nach wie vor ranken sich um die Frage, was damals wirklich in Berg geschah, unzählige Legenden und Verschwörungstheorien. Sie wer­den befeuert durch die konstante Weigerung des Hauses Wittelsbach, den Sarkophag zu öffnen. Dass Ludwig II gewissermaßen ›unbeabsichtigt‹ durch einen Wachmann erschossen wurde, als ihn von Gudden daran hindern wollte, ins Wasser zu gehen, durfte nicht öffentlich bekannt werden. Von Gudden ›erlaubte sich‹, den König an­zufassen! Das löste möglicherweise bei Ludwig, der − sich ganz seiner königlichen Unantastbarkeit bewusst − diese Dreistigkeit nicht dulden konnte, die Psychose aus, die von Gudden das Leben kostete. Der Polizist aber, der dies mit ansehen musste, feuerte den Schuss auf den König ab, dessen Wahnsinn er in diesem Augenblick wohl bestätigt sah.

Die Skizze zeigt Dr. Maximilian Schleiss von Löwenfeld, König Ludwig II und Stallmeister Richard Hornig. Die Männer waren zusammen mit Hermann von Kaulbach nur Minuten nach dem Ableben des Königs am Tatort. Hermann von Kaulbach, ein voll ausgebildeter Mediziner, mit außerordentlichem künstlerischem Talent skizzierte den toten König noch vor Ort. Der Blutaustritt aus dem geöffneten Mund verweist auf einen Lungenschuss und nicht auf Tod durch Ertrinken. (Prof. Siegfried Wichmann, vormals Kurator an der Pinakothek fotografierte das Bild im Jahre 1967).

Diese Katastrophe durfte auf keinen Fall in der Bevölkerung ruchbar werden. Es drohte ein Aufstand. Die Gefangennahme und Festsetzung Lud­wigs erfüllte schließlich alle Kriterien für einen Staatsstreich. (Ministerpräsident Lutz versicherte sich beim späteren Prinzregenten Luitpold vor der Gefangennahme des Königs, dass er auch nach dessen Absetzung Ministerpräsident bleiben würde.)

Die Intrigen im Vorfeld und der gewaltsame Tod Ludwigs II, dessen Schussver­letzungen nach wie vor bestritten und vertuscht werden, hätten möglicherweise schon damals die Dynastie in Frage gestellt. Wenn man die Idee eines Staatsstreiches weiter spinnt, hätte Ludwig seinen Onkel Luitpold als Mitverschwörer hinrichten lassen müssen. Ludwig war nicht so naiv, dass er das nicht gewusst hätte. Er schrieb, dass seinetwegen kein Blut fließen solle. Vielleicht war für ihn, den Todessehn­süchtigen, die eigentliche Tragödie, dass er zu schwach war, sich zu wehren. 215

Bayern liebt und verehrt ihn dafür, dass er – im Gegensatz zu Preußen − keine Schlachten angezettelt hat, um seinen Machtbereich auszudehnen. An den Kriegen von 1866 und 1870/71 musste er sich aufgrund der jeweiligen Bündnisse beteiligen. Ludwig II wollte kein Blutvergießen, er baute Märchenschlösser…

Ein ewig Rätsel … Das Volk gibt keine Ruhe – bis heute.

Widmung
Ich widme diesen Vortrag meiner Schwester, Frau Sonja Simon, die mir die Ereignisse im Hause Wittelsbach immer wieder in Erinnerung gerufen hat.

Literatur
BR 2011. Ludwig I. von Bayern. Künstlerkönig mit Widersprüchen. Online-Publ.: https://www.br.de/ themen/bayern/koenig-ludwig-eins100.html (Stand: 30.06.2020).
Döring, O. 1921. Das Tagebuch König Ludwigs II. München, Leipzig: Universal.
Grein, E. [Riedinger, E.] (Hrsg.). 1925. Tagebuch-Aufzeichnungen von Ludwig II, König von Bayern. Schaan, Liechtenstein: Rupert Quaderer.
Körner, H.-M. 2009. Die Wittelsbacher. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck.
Pflanze, O. 1997. Bismarck der Reichsgründer. München: C.H. Beck.
Rumschöttel, H. 2011. Ludwig II. von Bayern. München: C.H. Beck.
See, K. von (Hrsg.). 2001. Philip Fürst Eulenberg-Hertefeld, Das Ende König Ludwigs II.. Frankfurt am Main: Insel.
Volkert, W. 2001. Geschichte Bayerns. München: C.H. Beck.